Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
hatte. Gegenüber der Presse geschwiegen hatte. Und auch intern nur ganz wenige Leute über die Details informiert gewesen waren. Darum also mußte man doch eher von einer Gruppe von Logenbrüdern ausgehen, deren Obsession darin bestand, als Batmans verkleidet ihre Opfer zu überwältigen und geschlechtsfremde Gegenstände aus ihren Hosenschlitzen zu ziehen. Entweder zur rein persönlichen Freude oder im Zuge eines weiteren häßlichen Spielsystems.
Daß Dr. Antigonis in den Gesprächen mit Lilli praktisch zugegeben hatte, ihr diese Fledermäuse geschickt zu haben beziehungsweise eine Wette mit den perversen Logenbrüdern eingegangen zu sein, wurde von Pagonidis mit einem Grunzen und einer wegwerfenden Handbewegung abgetan. Er hielt das für Unsinn. Er meinte, Lilli Steinbeck habe sich von Antigonis zum Narren halten lassen.
Doch auch Lilli war nicht sonderlich hinterher, die Sache mit den Fledermäusen wirklich aufzuklären. Die beiden waren tot, und das war gut so. Und im Falle des zweiten Batmans konnte Lilli zudem befriedigt feststellen, kein wehrloses Opfer abgegeben zu haben. Ganz im Gegenteil.
Über diesen Umstand freilich war Kommissar Pagonidis nicht ganz so erfreut, wie er hätte sein müssen. Zwar konnte er das so nicht sagen, aber ihm wäre lieber gewesen, Lilli Steinbeck hätte die letzte Attacke bloß schwerverletzt überstanden und wäre darum schleunigst nach Deutschland ausgeflogen worden. Statt dessen saß sie völlig unbeschadet – und offensichtlich auch ungebeugt – in seinem Büro, hatte ihre langen, zwischenzeitlich gebräunten Beine übereinandergeschlagen und wartete darauf, daß ein Chauffeur sie abholen und zum höchst privaten Anwesen des Dr. Antigonis bringen würde.
Jedermann respektierte die Wünsche des Herrn Antigonis, auch die Polizei. Seine Macht war eigentlich unstofflich, namenlos, esoterisch und ätherisch. Und dennoch jederzeit zu spüren. Wie man Luft spürt, wenn ein Wind aufkommt.
Lilli wiederum hätte gerne etwas über dieses Anwesen nördlich von Athen erfahren. Um ein wenig vorbereitet zu sein. Aber keiner konnte oder wollte ihr etwas verraten. Es schien sich tatsächlich um einen weißen Flecken zu handeln, ein wenig in der Art von Saint Paul, nur eben mitten in Griechenland, einem ansonsten ziemlich gut erforschten Gebiet. Wobei natürlich weiße Flecken häufiger sind, als man glauben mag.
Lilli fragte Stirling, ob denn nicht wenigstens Journalisten versucht hätten, Näheres über Grundstück und Haus des Dr. Antigonis in Erfahrung zu bringen.
»Natürlich«, sagte Stirling, »aber jeder Journalist, der damit beschäftigt war, ist heute Angestellter von Antigonis. Als Sekretär oder Chauffeur oder Gärtner. Das schreckt die übrigen ab. Man fragt sich nämlich, womit Antigonis diese Leute überredet hat, für ihn zu arbeiten.«
»Ja, das soll er mir erzählen«, fand Lilli.
»Seien Sie um Himmels willen vorsichtig«, bat Stirling.
»Ich habe dem kleinen Leon versprochen, noch heute nacht nach ihm zu schauen. Versprechen gegenüber Babys halte ich prinzipiell.«
Stirling sah Lilli mit einem Blick an, als betrachte er eine Reliquie.
»Übertreiben Sie nicht«, mahnte Lilli Steinbeck. Aber es gefiel ihr durchaus, wie dieser Mann sie ansah.
Das Telefon läutete. Kommissar Pagonidis hob ab, lauschte ein paar Sekunden, dann nickte er, ohne aufzublicken. Er erinnerte jetzt an ein Pferd, das den ständigen Würfelzucker satt hatte.
Als Lilli Steinbeck wenig später im großräumigen Fond eines schönen, alten Bentleys saß, sprach sie den Chauffeur auf Englisch an und fragte ihn, ob er einmal Journalist gewesen sei.
»Ja, Frau Steinbeck.«
»Sie haben über Antigonis recherchiert, nicht wahr?«
»Ich habe respektloserweise versucht, in Dr.Antigonis Privatleben zu schnüffeln«, erklärte der Mann, der mit großer Ruhe und Fürsorge das englische Automobil steuerte, hinaus aus Athen, wie man sagt, hinaus aus dem Sturm, auch wenn der Athener Sturm im Stillstand von warmer Luft bestand.
»Sie sind hart zu sich selbst«, fand Steinbeck. »Respektlos? Ist das nicht das falsche Wort?«
Der Chauffeur schwieg. Lilli bemerkte seinen demütigen Ausdruck im Rückspiegel. Ein angedeutetes Lächeln, wie man das von gläubigen Menschen kennt, die sich für erlöst halten. Keine Frage, dieser Mann wäre für Antigonis durchs Feuer gegangen. Und wahrscheinlich erst recht für die Dame des Hauses.
Der Wagen fuhr von der Hauptstraße und zweigte auf immer kleinere Wege
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