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Lilly unter den Linden

Lilly unter den Linden

Titel: Lilly unter den Linden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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wenig verdrießlich und warf Lena einen vielsagenden Blick zu.
    »Du Miesmuffel«, sagte sie sanft.
    Am frühen Nachmittag fuhren wir in die Stadt zurück. In der Petrikirche gab es ein Adventskonzert, und ich schloss die Augen und kuschelte mich in Lenas Arm, während wir zuhörten. Als wir aus der Kirche traten, war es draußen bereits dunkel und ich tappte eine Weile ganz benommen an Lenas Hand über den Weihnachtsmarkt und kam mir vor, als wäre ich wieder fünf Jahre alt. Es war ein schönes Gefühl.
    Leider währte es nicht lange.
    »Der wäre was für unsere Katrin!«, meinte Lena, als sie an einem Stand einen Hut probierte, und ich stand eine Weile stumm und eifersüchtig dabei, während Pascal und Lena diskutierten, ob er ihr den Hut kaufen durfte. Lenas Katrin und Lenas Till hatte ich ganz vergessen. Vielleicht konnte Lena es kaum abwarten, dass sie morgen wieder zu ihren eigenen Kindern zurückkam … Ich wandte mich ab und ging allein weiter und hatte ein kleines Gefühl der Genugtuung, weil Lena und Pascal fast eine Viertelstunde besorgt nach mir suchten.
    Zum Schluss schlenderten wir schweigend am Alsterufer entlang, während die Kinoreklamen hinter uns glitzerten. Es war spät geworden, weil niemand von uns wusste, wie man den Tag am besten beschließen konnte: unseren einzigen gemeinsamen Tag, bevor Lena wieder für alle Zeiten hinter ihrem Zaun verschwand. Ich war traurig und wollte am liebsten gar nichts mehr sagen, aber es störte mich sehr, dass meine Tante ab und zu kleine Steine aufhob und ins Wasser warf. »Was machst du da?«, fragte ich schließlich etwas unwillig.
    »Steinchen werfen«, entgegnete Lena. »Machst du das nie?«
    »Macht mir keinen Spaß«, brummte ich. »Meine hüpfen nicht.«
    »Brauchen sie doch auch nicht«, meinte Lena und blieb stehen. Sie streckte ihre Hand aus, auf der ein kleiner dunkler Stein lag. »Hier, schau dir diesen Stein mal an. Nimm ihn in die Hand.«
    Sie zog mir den Handschuh aus und legte den Stein in meine Hand. »Na und?«, fragte ich verständnislos.
    »Lilly, das ist Geschichte, was du da in der Hand hast! Was glaubst du, was dieser kleine Stein schon alles gesehen hat, wo er überall war, bevor er in deiner Hand gelandet ist! Und was passiert wohl, wenn du ihn ins Wasser wirfst?«
    Lena sah mich erwartungsvoll an. »Er ist weg?«, bot ich an.
    »Nein, ist er nicht. Er ist nur woanders.«
    Der Stein fühlte sich kalt, glatt und rund an. Ich betrachtete ihn verblüfft. »Na, was hältst du davon?«, fragte Lena.
    Ich hörte den Fluss leise plätschern. Irgendwo hupte ein Auto. »Ich glaube, ich würde ihn lieber behalten«, sagte ich.
    »Das kannst du natürlich auch!«, meinte Lena leichthin. »Ich persönlich werfe meine lieber hinein. Es kann ganz schön spannend sein, wenn man plötzlich gezwungen ist, etwas ganz anderes zu machen. Dieser Stein landet jetzt tief unten auf dem Grund des Flusses …«
    Sie warf einen Stein ins Wasser. Es machte leise plopp , wir lauschten ihm hinterher und ich konnte beinahe hören, wie er unten ankam. »Und jetzt?«, fragte ich verblüfft.
    Lena schüttelte sich. »Brrr, ist das kalt!« Beide Arme nach vorn gestreckt, tastete sie sich blind auf mich zu. Ich hatte noch nie einen Menschen in die Rolle eines Steins schlüpfen sehen und rechnete halb damit, dass sie uns beide nur um der Erfahrung willen ins eiskalte Wasser stürzte. Vorsichtshalber trat ich einen Schritt zurück.
    »Ich sehe ja gar nichts!«, klagte meine Tante. »Na, dann muss ich es irgendwie anders anfangen, fühlen kann ich ja schließlich noch. – Nanu, was ist denn das? Da kommt ja ein Fisch!«
    Ehe ich mich versah, wurde ich gepackt, blitzschnell gedreht und von hinten fest umschlungen. »Der Fisch nimmt mich ins Maul und trägt mich davon! He, was soll das?« Ich wehrte mich, kichernd vor Schreck und Wonne, während Lena mich fortschleppte. Lena ist ziemlich klein, und ich bin immer überrascht, wie viel Kraft sie hat. Ich steckte wie in einem Schraubstock. »Wo bringt er mich denn hin?«, protestierte Lena.
    Wir blieben stehen. »Wohin denn?«, fragte ich. Ich spürte Lenas Wange an meinem Haar.
    »Das kann man nie wissen«, sagte meine Tante sanft. »Das ist ja das große Abenteuer! Wenn du etwas loslässt, weißt du vorher nie, was du dafür zurückbekommst. Du kannst nur sicher sein, dass sich etwas verändert, dass der Stein wieder ins Rollen kommt, so dunkel es auch scheinen mag …«
    »Lena«, flüsterte ich, »glaubst du an

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