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Lilly unter den Linden

Lilly unter den Linden

Titel: Lilly unter den Linden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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zupfte eine gelbe Serviette auf einem Frühstückstablett zurecht. »Pascal?«, fragte ich völlig überrascht – nicht nur, weil ich Lena erwartet hatte, sondern auch, weil ich Pascal noch nie etwas Derartiges hatte tun sehen.
    »Hallo, Lilly!«, sagte Pascal ertappt. Er stopfte die Serviette hastig in die Kaffeetasse, kam auf mich zu und küsste mich zaghaft rechts, links, rechts auf die Wangen.
    »Wann bist du denn angekommen?«, fragte ich. Es klang vorwurfsvoll, obwohl ich das gar nicht beabsichtigt hatte.
    »Gestern Nacht«, erwiderte Pascal schuldbewusst. »Mein Flug … tja …«
    Wir waren beide befangen. Ich weiß noch, dass ich wie ein Kind mit dem Zeigefinger auf dem Küchentisch malte. »Tut mir Leid, dass ich es nicht mehr rechtzeitig geschafft habe«, sagte Pascal lahm.
    Das Schweigen begann bereits auf uns zu lasten. Rasch nahm er das Tablett und drückte es mir in die Hand. »Hier, sieh doch mal nach unserem Gast!«
    Aus der Gästebettecke drang kein Laut, als ich mit dem rechten Arm die Türklinke herunterdrückte und erwartungsvoll das Zimmer betrat. Ich stellte das Frühstückstablett im Halbdunkeln auf den Nachttisch, ging zum Fenster und zog die Rollladen hoch. Es wurde laut, es wurde hell. Lena seufzte und schlief weiter.
    »Lena kann immer und überall schlafen«, hörte ich plötzlich die Stimme meiner Mutter so deutlich, als stünde sie direkt neben mir. Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff, dass es meine Erinnerung war. »Wie ich sie beneidet habe! Auf jeder elend langen Fahrt in den Urlaub, im Zelt, wenn der Regen durchtropfte, oben auf dem Heuwagen beim Ernteeinsatz …«
    … oder in einem verbotenen Land, in das sie noch nie einen Fuß hat setzen dürfen, ging es mir durch den Kopf. Wie mochte sich Lena unter uns fühlen? Traurig? Neidisch? Misstrauisch? Fremd?
    Ich hoffte, dass sie froh war, hier bei mir zu sein – aber wie konnte sie froh sein, da sie doch wieder zurückmusste hinter den »Eisernen Vorhang«?
    Ich trat einen Schritt näher heran, um meine Tante zu betrachten. Aber wie in einer Vision sah ich plötzlich gar nicht sie, sondern Mami dort liegen. Wie oft hatte ich so an Mamis Krankenbett gestanden und sie einfach angeschaut, während sie schlief! Schnell vertrieb ich das Bild, goss etwas Kaffee in die Tasse und wedelte Lena damit vor der Nase herum.
    Lena schlug sofort die Augen auf. »Eduscho?«, fragte sie begierig.
    »Du warst ja doch wach!«, rief ich.
    Lena lachte. »Ich war mir nicht ganz sicher. Ich dachte, ich träume! Seit meiner Hochzeitsreise hat mir niemand mehr das Frühstück ans Bett gebracht! Wie spät ist es denn?«
    »Gleich neun.«
    »Was? Das kann nicht wahr sein!« Lena setzte sich auf, ich drückte ihr das Tablett in die Hand. »Ach, Herzchen«, sagte meine Tante. »Das hast du ja wirklich schön gemacht. Aber ich dachte eigentlich, wir würden zusammen frühstücken.«
    »Dachte ich auch. Das hier ist von Pascal.«
    »Nee …!«, sagte Lena völlig verblüfft.
    Wir sahen uns an und brachen gleichzeitig in unterdrücktes Gekicher aus. Schuldbewusst schaute Lena zur Tür, aber Pascal ließ sich nicht blicken. »Ich zieh mich schnell an. Halt mal!«
    Sie gab mir das Tablett, schlüpfte aus dem Bett und tappte zu der Stelle hinüber, wo sie den Inhalt ihrer Reisetasche ausgebreitet hatte.
    Sie trug einen weiten karierten Pyjama, der genauso gut Onkel Rolf hätte gehören können, und ich musste daran denken, was Mami dazu gesagt hätte. Mami hatte ihr ganzes Leben gegen ein vermeintliches Gewichtsproblem gekämpft, vor jedem Fotoshooting rigoros gehungert und war mit ihrem Aussehen dennoch nie zufrieden gewesen. Und vielleicht war sie aus demselben Grund auch ziemlich ungnädig mit dem Erscheinungsbild anderer Frauen umgegangen. »Gerade noch schlank« – mit dieser spitzen Bemerkung hätte sie Lena jetzt vermutlich bedacht, deren zeltartiges Nachtgewand anheimelnde weibliche Rundungen umhüllte. Im Gegensatz zu Mami machte Lena allerdings den Eindruck, als ob sie mit ihrem Äußeren völlig zufrieden war, und es störte sie auch nicht, dass ich sie betrachtete. Ich wurde ein bisschen rot, als unsere Blicke sich begegneten, denn ich fand sie richtig schön.
    »Ich nehme an«, sagte sie augenzwinkernd, »Pascal ist den Anblick von Frauen im Schlafanzug gewöhnt.«
    »Eher nicht«, bekannte ich. »Mami schlief nackt.«
    Lena riss die Augen auf. Sie wankte rückwärts gegen die Tür, schlug die Hand vor den Mund und klagte mit tiefer

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