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Lilly unter den Linden

Lilly unter den Linden

Titel: Lilly unter den Linden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Schlitzen zusammengekniffen, wie mit Lena auf unserem Balkon, war langsam weitergegangen … und konnte plötzlich spüren, wie sich ein warmes Glücksgefühl in mir ausbreitete. Seitdem stahl ich mich jeden Abend noch einmal hinaus, lief die paar hundert Meter zur Siedlung hinüber und schaute nach, ob das Licht brannte. Ich hatte überhaupt keine Probleme, mir vorzustellen, dass es Lena war, die dort oben hinter dem erleuchteten Fenster wohnte. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht die Hand nach der Klingel auszustrecken. Manchmal weinte ich auf dem Weg nach Hause, manchmal war ich getröstet.
    War ich mit anderen zusammen, war alles wie früher – obwohl meine Klassenkameradinnen eine Zeit lang sehr vorsichtig mit mir umgingen und sich nicht einmal trauten, mich beim Völkerball abzuwerfen. Aber niemand erwähnte meine Mutter und ich war froh, wenigstens zwischendurch so tun zu können, als ob alles, so wie es war, völlig normal wäre. Es war mir jedenfalls sehr recht, dass kein Mensch in meiner Umgebung eine Vorstellung davon hatte, was in mir vorging, wenn ich allein war.
    In der ganzen Zeit erhielt ich von Lena keine einzige Zeile. Später erfuhr ich, dass sie etliche Briefe angefangen und wieder zerrissen hatte, weil sie einfach keine Worte an mich fand. Unser Abschied auf dem Bahnhof ging ihr nicht aus dem Kopf und sie hatte das Gefühl, mich furchtbar enttäuscht zu haben. Sicher hätte es sie beruhigt zu wissen, dass ich gar nicht mehr daran dachte, dass ich auch nicht einen Augenblick befürchtete, sie hätte mich vergessen. Ich habe von Anfang an nicht daran gezweifelt, dass sie mich ebenfalls liebte und dass sie unter der Trennung genauso litt wie ich.
    Ich glaube, den Verlust meiner Mutter werde ich mein Leben lang spüren, auch wenn ich mich natürlich längst damit abgefunden habe. Aber wenn man einen Menschen verliert, der noch lebt, ist es etwas anderes. Man wird immer versuchen, ihn wiederzufinden. Man findet sich nie damit ab.

8
    Meine Freundin Meggi hat Sommersprossen, blaue Augen und blonde Wuschellocken, die ihr bis tief in den Rücken fallen und dort fast ununterbrochen wippen, denn Meggi ist die meiste Zeit in Bewegung.
    Sie quasselt und lacht ununterbrochen und ab und zu wird man von ihren fröhlich fuchtelnden Händen getroffen. Meggi trug weite Latzhosen, schon lange bevor diese in Mode kamen, und es war ihr schnuppe, wenn andere sich darüber den Mund zerrissen. Denn Meggi ist so hübsch, dass sie selbst in einen Jutesack gehüllt den Rest der Klasse in den Schatten gestellt hätte, und auch die, die sie nicht leiden konnten, wären eigentlich lieber mit ihr befreundet gewesen.
    Warum sie sich damals ausgerechnet mich ausgesucht hat, kann ich nicht sagen. An dem traurigen Nachmittag von Lenas Heimfahrt stand sie schüchtern vor meiner Zimmertür, hielt mir meine auf der Flucht verlorenen Englischsachen hin und sagte: »Hi. Ich bring deine Englischsachen.«
    Pascal hatte mich ins Internat zurückgefahren, damit ich etwas zu essen bekam. Abzüge seiner Fotos vom Wochenende hatte er mir auch mitgegeben und ich war gerade damit beschäftigt, zwei oder drei für meine Pinnwand auszusuchen, die bis auf einen Stundenplan noch völlig leer an der Wand hing. Meggi drückte sich an mir vorbei ins Zimmer, sah sich nicht um – die kleinen Kästen, in denen wir wohnten, sahen alle gleich aus – und sagte: »Die Schnitzler ist fast ausgeflippt. Wo wolltest du denn hin?«
    Ich legte Schulheft und Mäppchen auf den Schreibtisch und starrte mit dem Rücken zu Meggi aus dem Fenster. Draußen strebten einige glückliche Lehrerinnen, die nicht im Internat wohnten, nach Hause.
    »In die DDR«, sagte ich.
    »Auf’m Fahrrad?«, staunte Meggi hinter mir.
    Ich drehte mich um. »Hat ja auch nicht geklappt.«
    Auf Meggis Stirn erschien eine kleine Sorgenfalte. »Lilly, geht’s dir nicht gut oder so was?«
    »War nur ’n Scherz«, behauptete ich. »Willst du dich nicht setzen?«
    Wir setzten uns aufs Bett und sahen einander verlegen an. »Also, hm … tja«, bemerkte ich.
    Meggi holte tief Luft. »Ich hatte Geigenstunde und dachte ich komme einfach mal vorbei findest du es nicht auch ganz schön eng hier was machst du gerade?«, fragte sie ohne Punkt und Komma.
    Ich griff im Sitzen nach den Fotos, die auf meinem Schreibtisch lagen, und Meggi stürzte sich erleichtert darauf. »Die sind ja super! Professionell, oder? Woher hast du die?«
    »Der Fotograf ist ein guter Freund von mir.«
    Ich war

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