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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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sie ihre dicken ­Jacken und gingen hinaus in die Natur. Sie wussten beide, dass es das Signal war, über Paolo und Oskar zu reden. Keine wäre auf die Idee gekommen, im Haus einen wahren Satz zu sagen.
    Sie gingen eine Weile schweigend und warteten so lange, bis sie sicher waren, dass nur noch die Natur ihnen zuhörte. Dann sagte Kristina: „Ich weiß, wo Paolo ist, und ich rede manchmal mit ihm. Es ist hart für ihn, so weit weg zu sein, aber er ist in Sicherheit.“ Lilly sagte das Gleiche. Sie wussten, dass sie ein­ander keine Details erzählen konnten. Sie schwiegen lange.
    Als Kristina wieder sprach, verfiel sie auf ganz natürliche ­Weise ins Du: „Ich weiß, dass Paolo mit dir eine – für ihn sehr lange – Affäre hatte. Er geht offen damit um, das ist ein Grundprinzip unserer Beziehung. Früher, wenn ich von den anderen Frauen hörte, habe ich darunter gelitten wie ein verwundetes Tier. Aber das ist lange her. Inzwischen sind so viele an mir vorbeigezogen, dass es nicht mehr wehtut. Ich habe akzeptiert, dass wir sehr unterschiedlich sind. Ich brauche Sex nicht. Das hat mit meiner Kindheit zu tun. Ich habe etwas erlebt, was meinen Wunsch nach körperlicher Vereinigung für immer abgetötet hat. Paolo braucht Sex wie einen Bissen Brot. Ständig. Wir hatten die Wahl, uns zu trennen oder einen Weg zu finden, der unserer Liebe Beständigkeit verlieh. Ich weiß, dass er bei mir bleiben wird. Ich bin seine Mutter, seine Gefährtin, seine Muse, seine beste Freundin und seine Frau.“
    Lilly wunderte sich nicht, dass sie „Mutter“ an erster Stelle nannte. „Und warum wolltest du mich kennenlernen?“ Sie verstand nicht, warum eine Frau freiwillig die Geliebte ihres Mannes besichtigen wollte. Kristina antwortete gelassen: „Du bist anders und passt nicht in sein Beuteschema. Er sprach von dir auf eine Weise, die mich nicht bedrohte, aber neugierig machte. Und als du da warst, habe ich in dir eine mögliche Version von mir gesehen. Eine erotische Frau, die ich hätte sein können, wenn mein Onkel mich nicht missbraucht hätte. In dieser Nacht haben Paolo und ich seit vielen Jahren das erste Mal wieder miteinander geschlafen.“
    Als Lilly spät in der Nacht ihr Auto startete und wieder nach Hause fuhr, dachte sie für einen Augenblick daran, wie sie damals aus dem Haus geflüchtet war, weil Paolo und Kristinas Liebesspiel sie verletzt hatte. Jetzt hatte sie eine neue Freundin, auch wenn klar war, dass sie nicht vieles gemeinsam hatten, was sie im Alltag verband.
    Während Lilly an ihrer Geschichte „Die verwanzte Stadt“ arbeitete und gerade Interviews mit abgehörten Umweltaktivisten auswertete, kam Ralf mit einem Packen Papier und warf ihn auf den Tisch: „Du bist eine miserable Autofahrerin, ich habe es dir immer schon gesagt. Hier ist der Beweis.“
    Es waren Überwachungsprotokolle, und Lilly las die Stelle, die Ralf mit einem gelben Marker hervorgehoben hatte: „Frau Baldini wechselt ohne zu blinken die Spur, dann überfährt sie eine Sperrlinie und biegt hundert Meter weiter bei einem Geradeauspfeil nach links ab. Anschließend fährt sie mit überhöhter Geschwindigkeit geradeaus und überquert die nächste Kreuzung bei Gelb.“ Lilly brach in schallendes Gelächter aus und konnte gar nicht mehr aufhören. Wie naiv waren ihre Über­wacher eigentlich? Glaubten sie wirklich, dass sie Oskar mit ihrem eigenen Auto besuchen würde? Gleichzeitig war sie überrascht, wie viele Verkehrsübertretungen ihr innerhalb weniger Minuten gelungen waren. Vielleicht sollte sie sich doch disziplinieren.
    â€žWoher hast du diese Protokolle?“
    â€žIch habe mit der Wühlmaus Mittag gegessen. Er wollte mir einen Deal vorschlagen. Information gegen Information. Ich überrede dich, dass du ihn über Oskar informierst, im Gegenzug gibt er uns alles, was er aus der Justiz erfährt.“ Die Wühlmaus war der Spitzname für den Kollegen, der sich in den „Fall Esmeralda“ verbissen hatte. Lilly mochte ihn nicht. Er hatte sie schon einmal damit bedroht, dass er ihre Spur bis nach Deutschland verfolgen würde, und ihr später einen Deal vorgeschlagen. Jetzt wollte er sie über Ralf, mit dem er vor Jahren für dasselbe Magazin gearbeitet hatte, umstimmen.
    Das Lachen hatte gutgetan. Aber nur einen Augenblick lang. Lilly war verstimmt. Diese

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