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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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seinem Vater, der sich wie ein gejagtes Tier verstecken musste?
    Lilly hatte auch längst vergessen, wie es war, in der Nacht durchzuschlafen. Seit Oskars Flucht war sie immer um vier Uhr morgens aufgewacht, weil auf ihrer Brust dunkle Schatten lagen, die ihr die Luft nahmen. Dann stand sie meistens auf und schrieb in ihr Tagebuch oder feilte an einer Reportage.
    Seit ihrer Rückkehr nach Wien hatte sie den letzten Rest von Lebensfreude verloren und bemühte sich nur noch für Lea, fröhlich zu sein. Der Ausschlag an ihren Händen war schlimmer geworden und hatte sich über den ganzen Körper ausgebreitet. Sie trug seither Rollkragenpullis, damit Ralf ihn nicht sehen konnte. In der Redaktion schrieb sie im Augenblick nur kleine Geschichten und redigierte die Reportagen der freien Mitarbeiter. Es war, als ob sich ihre Leidenschaft für ihren Beruf mit der grauen Masse ihres problematischen Privatlebens vermischt hätte und darin untergegangen wäre.
    Lilly telefonierte nicht mehr mit Oskar. Sie wollte ihm nicht erzählen, wie es ihr ging, und hatte nicht die Kraft, es vor ihm zu verbergen.
    Ralf und Johanna machten sich Sorgen. Sie sahen, dass Lilly knapp davor war, zusammenzubrechen und trafen sich heimlich, um Strategien für ihre Entlastung zu besprechen. Ralf, der sie so gut wie kein anderer kannte, machte sich wenig Hoffnungen.
    â€žSie ist in ihrem chinesischen Horoskop ein doppelter Büffel. Wenn sie nicht will, hast du keine Chance.“ Johanna nickte. Sie kannte diese konsequente Art, die manchmal an Sturheit grenzte, von Kevin, ihrem Mann. Er war immer unbeirrbar seinen Weg gegangen und hatte manchmal auch einen hohen Preis dafür bezahlt. Jetzt lebte er wieder in den Staaten. Er hatte damals, als Johanna sich in Rudi verliebte, einer Trennung zugestimmt, weil er seine Arbeitskollegin Patricia mehr als sympathisch fand, und schon seit geraumer Weile mit ihr das Bett teilte. Nun war wieder alles anders. Die Beziehung war zu Ende und Kevin wollte zu seiner Familie zurück. Sie hatte schon mit Ralf darüber geredet, der inzwischen auch ihr Vertrauter geworden war. Lilly wollte sie nicht damit belasten.
    Doch es war schon zu spät: „Johanna, wann willst du mir endlich erzählen, was mit dir los ist?“, fragte Lilly, als ihre Freundin wieder einmal einen Anlauf nahm und sie darum bat, endlich leiser zu treten. Sie sah sie mit ihren grauen, aufmerksamen Augen ernst an. Es gab kaum jemanden, den sie kannte, dem sein Unglück so ungeschminkt ins Gesicht geschrieben stand.
    Johanna war nicht vordergründig schön. Sie war „eine Blume, an der man im ersten Moment vorbeigeht, um dann innezuhalten, weil die zart gefächerten Blüten und der wunderbare Duft einen betören“. Rudi, dieser pragmatische Tüftler, hatte diesen erstaunlichen Satz gesagt und Lilly einmal mehr überrascht. Er holte aus seinen Tiefen immer wieder neue Wesenszüge hervor, und so eckig wie seine Bewegungen war auch sein Persönlichkeitsbild. Nichts passte auf den ersten Blick zusammen. Und dennoch ergab es ein sinnvolles Ganzes. Johannas Augen waren braun-grau gesprenkelt und sie sagte von sich selber, dass sie eine Knollennase habe. Für Lilly war es eine Stupsnase, die sich nicht so ganz entscheiden konnte, ob sie an manchen Tagen lieber ein Knöllchen zeigte.
    Und so ein Tag war heute. Johanna hatte ihren Knollentag, wie ihre Kinder es nannten, und ihren kleinen, wohlgeformten Mund nach unten gezogen. Ihre Hände lagen schützend auf dem kleinen Speckbäuchlein, das sie sich aus Kummer angegessen hatte und das jeweils wieder von alleine verschwand, wenn alles wieder gut war. Sie war einen Kopf kleiner als Lilly und als sie nach einem inneren Ringen jetzt ihren Kopf an Lillys Brust legte und losheulte, war ihr Weinen so inbrünstig wie ihr Lachen.
    â€žIch bin zerrissen zwischen dem Wunsch, meine Familie zu erhalten, und meiner Sehnsucht, endlich mit Rudi zusammenzuziehen. Kevin hat seinen Flug schon gebucht, er kommt nächste Woche nach Österreich zurück und möchte, dass wir es noch einmal probieren. Er weiß, dass ich Rudi nicht aufgeben will, aber er glaubt, dass die Zeit und die Kinder für ihn arbeiten. ‚Du kannst John und Nelly keine endgültige Trennung antun‘, hat er gestern am Telefon gesagt.“
    Lilly fragte: „Liebst du ihn noch?“, und wusste, dass es das Einzige war, was zählte. Johanna konnte ihr

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