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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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ihr Sohn am Abend immer wieder nach Hause kam. Am Nachmittag hatten sie gemeinsam dem Schneemann, damit er nicht einsam war, eine Frau an die Seite gestellt. Sie trug eine rote Faschingsperücke und ausladende Brüste aus Schnee, denen Oskar seine ganze Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Der Umstieg von der Familie zum Paar war ­ihnen dann am Abend, als die Kinder schliefen, nicht leicht gefallen. Sie saßen einander gegenüber und spürten beide, dass das unkomplizierte Miteinander verloren gegangen war. Vielleicht waren sie auch befangen, weil Lillys Scheide in der Nacht nicht feucht geworden war, und Oskar nach einem kurzen Versuch seine Leidenschaft sichtbar und spürbar verloren hatte. Es nützte wenig, dass sie wussten, dass Männer und Frauen auf Stress unterschiedlich reagierten. Sie wollten einander geben, was sie so lange vermisst hatten, und Lilly war enttäuscht, dass ihr Körper so ehrlich war. Früher hatte sie keine Probleme gehabt, diesen Moment des Widerstands zu übergehen.
    Sie schwiegen lange und als Lilly sagte: „Ich werde Niklas wieder mitnehmen“, wusste sie, dass es der falsche Satz zur falschen Zeit war. Von da an bekriegten sie sich mit Wortgefechten, schrien sich mit unterdrückter Stimme, damit die Kinder, die in ihren Stockbetten schliefen, nicht aufwachten, an, und Blicke aus hartem Stahl schossen über den Tisch. Als sie um Mitternacht in ­ihrem winzigen Schlafzimmer im Bett lagen, hatten sie den Ausgang aus ihren heftigen Gefühlen noch immer nicht gefunden. Keiner von ihnen. Lilly wusste, dass es nicht nur um Niklas, sondern auch um alte Kindheitsverletzungen ging, die sie gemeinsam durch ein Wort, durch eine Handlung oder Nicht-Handlung bei solchen Gelegenheiten auf die Bühne riefen. Es war nichts Neues, es war eine alte Spur, die sie schon lange bewusst verlassen hatten. Aber wenn der Moment kam, versagten alle Weiter­entwicklungen der letzten Jahre. Dann kehrten sie beide zurück in ihr Beziehungs-Neandertal und vergaßen alles, auch ihre gute Erziehung. Es schien immer wieder, als ob der Krach wie ein notwendiger Reinigungsprozess funktionierte. Als ob die Frustrationen, über die sie nicht redeten, weil sie klein und lächerlich waren, sich nach einer Weile gebündelt einen eigenen Weg suchten.
    Lilly wusste das alles, es war früher fast schon ein gewohntes Ritual gewesen. Aber jedes Mal, wenn es geschah, war sie neu verzweifelt und spürte den endgültigen Untergang ihrer Beziehung. Gleichzeitig war ihr klar, dass niemand sie dazu gezwungen hatte, sich in die alte Gefühlskiste zu setzen. Es war ihre Wahl gewesen, Oskar mit ihrem Vater zu verwechseln. Es war nicht gerecht, dass sie ihm vorgeworfen hatte, dass er ihr immer über den Mund fuhr und ihre Meinung unterdrückte. Sie hatte ihn mit ihrem Wunsch, Niklas wieder mitzunehmen, überfallen, und er hatte sich dagegen gewehrt.
    Oskar und die Kinder schliefen noch. Sie würde nicht sofort zurück zum Haus gehen. Das kleine Gefühl von Sehnsucht brauchte noch Zeit, um zu wachsen. Sie war mit einem Seelen­kater mitten in der Nacht erwacht und grollte sich selber. Wie oft würde sie sich das Leben noch schwer machen und sich mit ­Szenen wie gestern Abend kostbare Lebenszeit verderben? Sie hatte eine Nacht in Oskars Armen verloren und vielleicht auch noch diesen Tag, falls er ihr noch immer böse war.
    Lilly überlegte, ob sie nicht doch einfach zurückgehen und sich zu ihm ins enge Bett kuscheln sollte. Aber vielleicht brauchte auch Oskar Zeit, bis er beginnen konnte, sie zu vermissen. Außerdem konnte sie ihn kaum ertragen, wenn er distanziert war. Sie wusste natürlich, dass es ein Schutz war, dass es seine Strategie war, den vorübergehenden Fall aus der Liebe zu ihr besser zu verkraften. In ihr löste seine Kälte ein Gefühl von absichtlichem Bestraftwerden aus und erinnerte sie fatal an Szenen aus ihrer Kindheit. Damals hatte sie sich einfach tot gestellt. Nichts spüren, nichts denken, innerlich so weit weggehen, bis sie sich selber kaum mehr finden konnte.
    Lilly stand noch immer am Seeufer. Ihre gefütterten Leder­stiefel und die lange Lammfelljacke hielten die Kälte ab. Aber sie trug keine Mütze und ihr Gesicht war kalt. Doch langsam erinnerte sie sich daran, dass sie sich in jeder Sekunde neu für ein gutes Leben entscheiden konnte. Ihr Rücken schmerzte noch, als sie zurück zum Jagdhaus ging, weil

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