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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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Maschinenverkäufer.“ War das die Wahrheit über die Beziehung der beiden? Oder versuchte Oskar, sich von Paolo zu distanzieren?
    Sie suchte in ihrer Erinnerung nach Bildern zu seinem Text. Paolo war ein Mann, der sich seiner Macht bewusst war und sie ausübte. Lilly erinnerte sich daran, wie verärgert er war, als sie sich geweigert hatte, einen Werbespot für eine Wahlempfehlung zu drehen. Zuerst hatte er Oskar dazu überredet, auf sie einzuwirken, und als das nichts half, war sie monatelang Persona non grata und wurde zu den wichtigen Events nicht mehr eingeladen. Vielleicht hatten die beiden ein deutlicheres Hierarchieverhältnis, als Lilly von außen wahrgenommen hatte. Vielleicht war sie auch zu gefangen gewesen vom Bild Oskars, das sie sich gemacht hatte: Vielleicht war er doch kein souveräner, selbstbestimmter, charismatischer Mann?
    Es gab aber noch eine andere Passage, die Lilly beunruhigte. Oskar sprach darüber, dass er selber nur Teile der Ladung des Schiffes mit eigenen Augen gesehen hatte. Er beteuerte seine ­eigene Unschuld, nannte einen Minister beim Namen und ließ die Vermutung im Raum stehen, dass es noch um ganz andere Interessen gegangen sein könnte. Lilly spürte, wie eine Welle von Angst sie überflutete und dass ihre Hände wieder zu jucken begannen.
    Sie ging in Ralfs Büro: „Kannst du den Text bitte überprüfen, es macht mir Angst, was ich lese.“ Ralf nahm sie wortlos in die Arme: „Fahr du nach Ägypten und erhol dich, ich mach’ das schon.“ Er sagte nicht, dass alles gut wird, er glaubte es auch nicht mehr.

7. Kapitel
    Lillys Nomadin vertrug sich nicht mit dem Muttertier in ihr. Die beiden standen in einem ständigen Widerstreit, und wenn die eine gewann, war die andere unzufrieden.
    Die Nomadin saß um halb fünf Uhr morgens an einem kalten Februartag im Taxi, jede einzelne Zelle in angenehmem Aufruhr: Endlich keine Alltagsverpflichtungen, endlich wieder von einer Sekunde zur anderen leben. Ein Flugticket nach Ägypten, ein Transport nach Dahab, das war alles. Mehr brauchte sie nicht, um glücklich zu sein. Keine Pläne, keine Buchungen, keine Termine. Es war genug Beschränkung, dass sie in vierzehn Tagen zwei Stunden vor Abflug wieder am Flughafen von Sharm el Sheikh sein musste. Die wilde Freude, die in ihr aufstieg, erinnerte Lilly an die Erzählungen von Lilith, der freien Frau, die sich nicht fügen wollte und die durch die Lüfte davongeflogen war, als Adam sie zähmen wollte.
    Dieser Glücksmoment war zu Ende, als sie am Abfluggate eine Mutter mit ihren beiden Kindern beobachtete. Das ältere war ein Junge und schien noch nicht schulpflichtig zu sein. Für eine Weile war Lilly durch das Verhalten der Mutter von ihren eigenen Gefühlen abgelenkt. Der Junge saß mit angespannten Kiefermuskeln brav da und wippte nervös mit dem rechten Fuß, während das kleine Mädchen, das vielleicht drei Jahre jünger war als er, die ganze Aufmerksamkeit forderte. Es wurde geküsst, gekämmt, gestreichelt, beachtet, während er, vollständig ignoriert, stumm vor sich hin starrte. Lilly hätte die Mutter am liebsten geschüttelt, so zornig war sie über den Ausschluss des Sohnes, an den seine Erziehungsberechtigte – was für ein schrecklicher Name – während der Wartezeit nur einen einzigen Satz richtete: „Sei doch vernünftig“, sagte sie, als er seine jüngere Schwester, die ihn an den Haaren zog, wegstieß. Sie sah dem Jungen zu, der sich bemühte, seinen Schmerz nicht zu zeigen, und plötzlich war Niklas ganz nah. Sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass er mit Oskar lebte. Das Muttertier sprang in die Lücke, die sich bot, und öffnete den großen Raum, in dem der Schmerz wohnte. Am liebsten wäre Lilly aufgestanden und wieder nach Hause gefahren. Sie würde zu Lea ins Kinderzimmer gehen, ohne ihre Mutter zu wecken, die aus dem Bregenzerwald angereist war, und bei ihrer schlafenden Tochter sitzen. Dann würden sie gemeinsam am Morgen zu Oskar und Niklas fahren. Sie fühlte sich plötzlich wie eine Verräterin, dass sie einfach abhaute.
    Ralf war ganz anderer Meinung: „Es ist fünf vor zwölf. Wenn du für deine Familie sorgen willst, dann musst du deine leere Batterie aufladen. Und komm mir ja nicht wieder, bevor die vierzehn Tage um sind.“
    Als Lilly endlich im Flugzeug saß, war sie

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