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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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so erschöpft von ihrer inneren und äußeren Anspannung, dass sie die Augen schloss. Die Stille tat ihr gut. Sie hatte sich aus ihrer Kindheit die Fähigkeit bewahrt, sich so abzukapseln, dass sie ihre Umgebung nicht wahrnahm, und nur ganz in der Ferne hörte, wie die Flugbegleiterin die Sicherheitsbestimmungen in zwei Sprachen herunterleierte.
    Kurz nach dem Start, die „Fasten-seatbelt“-Zeichen waren gerade erst erloschen, war die Stille zu Ende: „Noch immer so attraktiv wie früher“, sagte eine männliche Stimme, die viel zu laut war. Sie öffnete die Augen und brauchte einen Augenblick, um das stark gealterte Gesicht, das sich über sie beugte, einem Geschäftspartner von Paolo zuzuordnen. Paul hatte damals gerade eine viel jüngere Frau geheiratet und war, wie er ihr jetzt ungefragt berichtete, „gezeichnet von seiner gescheiterten Ehe“. Lilly sagte in einer Mischung aus echtem Mitgefühl und leichter Schadenfreude: „Ja, Generationssprünge sind meistens nicht so einfach.“ Er sah sie verblüfft an: „Ja, hätte ich vielleicht eine Gleichaltrige nehmen sollen?“ Er sagte das Wort „gleichaltrig“, als ob es einen schlechten Geruch hätte, der ihm nicht zuzumuten wäre. Lilly wunderte sich nicht. An den Preis für diese „Mischehen“ dachten die Beteiligten meist erst, wenn es zu spät war. Am Anfang schoben die alten Väter noch begeistert Kinderwagen durch die Gegend, in denen Babys lagen, die ihre Enkel sein könnten. Doch später, wenn der Lack der jungen Liebe ­abgeblättert war, wurde das Leben meistens mühsam. Sie hatte schon einige Männer erlebt, die mit siebzig von ihren fünfzig­jährigen Frauen verlassen worden waren, weil die Lebensentwürfe nicht mehr zusammenpassten. Als Paul wieder zu seinem Sitzplatz zurückging, nachdem er sein Unglück bei Lilly abgeladen hatte, blieb Paolo vor ihrem inneren Auge zurück.
    Ihr Schicksal hatte in einem Flugzeug mit einem Ring, den er ihr an den Finger gesteckt hatte, begonnen. Und jetzt war sie, zehn Jahre später, in einem Leben gelandet, das sie zu einer anderen Frau gemacht hatte. Eine weitschichtige Verwandte im Bregenzerwald fiel ihr ein, die an Weihnachten bissig zu ihr gesagt hatte: „Gib zu, dass du die Publicity genießt, dein Gesicht ständig in der Zeitung zu sehen.“ Ella, die Lillys Betroffenheit bemerkt hatte, biss zurück: „Manche Menschen sind so dumm, dass man ihnen das Maul verbieten sollte …“ Lilly dachte an ein Foto der letzten Woche, dessen Bildtext ihr unter die Haut gegangen war: „Baldinis Frau Komplizin der Verbrecher? Wo hält sie die beiden Männer versteckt?“ Ralf wollte sie trösten: „Ich kenne den Journalisten, er hat ein Gehirn, das nicht größer ist als eine Briefmarke, lass dich von so jemandem nicht verletzen.“
    Dahab empfing Lilly mit bedecktem Himmel bei mehr als zwanzig Grad und einem Kulturschock. Sie wollte diesmal in Assalah, einem weniger touristischen Teil, wohnen und fühlte sich vom Bauschutt an den Straßenrändern, den halb fertigen Häusern und dem Müll, der sorglos herumlag, abgeschreckt. Sie besichtigte drei Appartements, die trotz der vernachlässigten Umgebung alle gut ausgestattet und sauber waren, und jedes Mal sprang ihr die Einsamkeit entgegen. Sie sah sich allein mit ihrem Beduinentee in den geschützten Innenhöfen sitzen und sehnte sich nach der Weite des Meeres und den Menschen, die am Ufer spazieren gingen. Sie zog ihren Rollkoffer über staubige Wege auf der Suche nach einem passenden Quartier und verfluchte ihre Spontaneität. Sie dachte an die Zwischenlandung in Marsa Alam, einem Touristenzentrum, und beneidete für einen Augenblick die Menschen, die braun gebrannt nach ihrem All-inclusive-­Urlaub an Bord gegangen waren, um zurück nach Wien zu ­fliegen. Die meisten trugen noch ihre Plastikbänder am Hand­gelenk, die sie als Zugehörige der gut versorgten Urlauberherde in einem Club kennzeichneten.
    Lilly hatte sich längst verlaufen und wusste nicht mehr, in welcher Richtung das Meer lag. In diesem Augenblick kam eine Frau, ganz offensichtlich Europäerin, aus einem gepflegten Haus mit einem säulengeschmückten Eingang, und wollte in einen weißen Jeep steigen. Sie zögerte, als sie die ratlose Fremde mit ihrem Koffer sah, und sagte mit einer tiefen, angenehmen

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