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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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Stimme: „Can I help you?“ Sie trug kurzes, gelocktes, silbergraues Haar, um das sie lässig ein Tuch geschlungen hatte. In ihren warmen grauen Augen blitzte der Schalk. Tjalle, die Dänin war und seit vielen Jahren acht Monate lang in Dahab lebte, weil ihre Tochter einen Stadtbeduinen geheiratet hatte, machte Lillys Odyssee ein Ende. Sie brachte sie zu einem nahen Hotel am Strand, das mit seinem großen Beduinenzelt am Meer und den bequemen Sofas mit bunten Kissen genau den Wünschen der Nomadin entsprach. Sie dachte an Ralf und freute sich jetzt schon auf sein Gesicht, wenn sie an ihre Erzählungen nach ihrer Rückkehr dachte. Er war immer wieder neu fasziniert von ihrer Begabung, an jedem Ort der Welt sofort neuen Herzensmenschen zu begegnen: „Dich könnte man in der Wüste aussetzen und du würdest mit einem ganzen Beduinenstamm nach Hause kommen.“
    Als Tjalle sich nach einem Drink in den weichen Kissen des Beduinenzelts verabschiedete, hatten sie einander die Eckdaten ihrer Leben abwechselnd auf Deutsch, Englisch und Französisch erzählt. Es war Lilly, die immer wieder den Sprachkanal wechselte, nachdem ihre neue Bekanntschaft erzählt hatte, dass sie sich bei Tisch manchmal fünfsprachig unterhielten, wenn ihr Schwiegersohn und Gäste aus Europa da waren.
    Lilly stellte sich vor, wie es wäre, wenn sie Ella und ihr Bregenzerwälderisch hierher mitbrachte. Es fühlte sich passend an. Beim Abschied sagte Tjalle: „Morgen fahre ich zu einer Freundin, die dir gefallen wird. Wenn du magst, kannst du mitkommen, sie ist hellsichtig.“ Lilly überhörte das Wort „hellsichtig“ und nickte dankbar. Es war gut, dass sie nicht gleich allein sein musste. Sie hatte sich nach Erholung und Stille gesehnt und nun merkte sie, dass sie Angst davor hatte. Was würde passieren, wenn die Alltagsprobleme ihren Kopf nicht mehr bis zum Bersten füllten? Welche Untiefen würden sie erwarten, wenn sie nur noch an sich selber denken musste?
    Ã„gypten, 7. Februar 1989
    Ich liebe das Meer. Es wird mich in den Schlaf singen, wenn ich die Türen zu meinem Balkon offen lasse. Es ist mein Freund und tröstet mich mit seinem Gesang. Ich liege auf meinem Doppelbett, das für mich alleine zu breit ist, und vermisse sie alle. Oskar, Lea, Niklas, Ralf, Johanna, Ella … Dahab ist ein magischer Platz. Die roten Berge des Sinai schützen im Hintergrund diesen gesegneten Streifen Land, der sich zur unendlichen Weite des Wassers öffnet. Ich mag diese Mischung aus Tourismus und Beduinenkultur. Gleichzeitig habe ich Angst vor der Zeit hier. Ich bin ohne Ziel. Keine Reportage, keine Manager, die ich beobachten und beschreiben kann und die mich in der Einsamkeit der Wüste in ihre geheimsten Gedanken einweihen, solange sie nicht in meiner Geschichte vorkommen. Niemand, der mich von mir selber ablenkt.
    Wer bin ich? Ich weiß, wer ich war. Das ist einfach. Eine begabte, etwas oberflächliche, hübsche Journalistin, die sich eine glückliche Kindheit zurechtgeträumt hat. Natürlich nicht bewusst. Ich kannte nichts anderes, als zwischen meinen Eltern, die so sehr mit sich selbst beschäftigt waren, einsam zu sein.
    Wer bin ich jetzt? Ich stehe auf und gehe nackt in mein grün-weiß gefliestes Badezimmer. Ich bewundere die schmale Fliesenbordüre aus kleinen Rosenknospen und grünen Blättern auf weißem Hintergrund. Sie verbindet auf halber Raumhöhe die weißen mit den grünen Fliesen und ist mir bis jetzt nicht aufgefallen. Ein charmanter Stilbruch in dem orientalischen Ambiente, als ob hier kurzfristig eine Französin mit Geschmack ihren Charme ausgelebt hätte und dann wieder abgereist wäre. Als ich meine Hände am kleinen Waschbecken wasche, entdecke ich, dass der Wasserhahn die Form eines Delfins hat. Seine grünen Augen passen zur Farbe der Rosenblätter. Dieses Bad kann nur eine Frau ausgestattet haben. Ich fühle mich wohl, obwohl das Hotel schon bessere Zeiten gesehen hat.
    Mein Spiegelbild überrascht mich. Es ist lange her, dass ich mir selber aufmerksam ins Gesicht geschaut habe. Der Druck und der Stress der letzten Jahre scheinen fast spurlos an mir vorübergegangen zu sein. Meine Augen haben etwas von ihrem Strahlen ver­loren, doch meine Haut und meine Haare sind die einer jungen, glücklichen Frau. Als ob mein erschöpfter Körper sich bemühte, um jeden Preis den Schein zu wahren. Ich

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