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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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Beduinenkissen ausgestattet. Wir ziehen unsere Schuhe aus und setzen uns rund um ein Kohlebecken, das uns an diesem kühlen Tag wärmt.
    â€žDieser Platz soll ein Entwicklungszentrum sein und wächst langsam und damit organisch“, sagt Rita, und ich sehe in ein junges, fast faltenfreies Gesicht mit bernsteinfarbenen Augen. Sie trägt ihre grauen, gelockten Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der bis zu ihren Schultern reicht. Ihr langes Beduinenkleid, unter dem sie gegen die Kälte einige Schichten trägt, hat die Farbe von verblichenem Lachsrosa. „Manchmal macht mich dieses langsame Wachstum des Zentrums ungeduldig, aber nur für einen Moment. Ich weiß, dass jeder, der hierherkommt, gerufen wird und etwas lernen will, was immer es ist. Es ist kein Touristenort und wird es auch nie werden.“ Unter dem forschenden Blick fühle ich mich plötzlich als jemand, der hierhergekommen ist, um etwas zu lernen.
    Unser Besuch dauert nicht lange, Tjalle muss zu ihren Enkelkindern zurück und Rita sagt: „Wenn du willst, kannst du jederzeit wiederkommen. Hier ist ein guter Platz für Menschen, die sich selber finden wollen.“ Woher weiß sie, dass ich mich selber finden will?
    Der Sturm und der bedeckte Himmel blieben den ganzen Tag zu Gast. Lilly spazierte von ihrem Ortsteil in den anderen und registrierte, wo die Grenze lag. Niemand musste ihr sagen, wo die Touristenmeile begann. Sie ergab sich durch eine plötzliche Verdichtung der Restaurants, vor denen die Besitzer ihre Sonderangebote anpriesen, und durch eine Reizüberflutung von aneinandergereihten Geschäften, in denen es vom Beduinenteppich bis zur Taucherbrille alles gab. Sie kaufte sich Tee und Badeschuhe, weil das Riff, das den Strand begrenzte, für nackte Füße gefährlich war, und ließ sich durch den Tag treiben. Es war windig und zu kalt zum Schwimmen, und so saß sie am Nachmittag in einem der vielen Coffeeshops auf Beduinen­kissen und schmökerte in den Büchern, die Ralf ihr mitgegeben hatte. Sie sah ihn vor sich, wie er ihr am Vortag vor der Abreise die Bücher wie zufällig über den Tisch geschoben hatte: „Falls du im Urlaub etwas für deine Seele und dein Selbstmanagement tun willst …“
    Lilly lächelte. Er hatte recht. Es war höchste Zeit, dass sie
ihre Managerinnenqualitäten ihrem eigenen Selbst widmete. Sie schlug das erste Buch auf, weil es das Porträt eines jungen, ­buddhistischen Mönches trug, der ihr gefiel. Sie glaubte daran, dass die ersten Sätze als Richtungsweiser für die gesamte Zeit galten. Das Kapitel hieß „Die Tugend des Loslassens“.
    â€žSchauen wir uns Hoffnung und Furcht genauer an, so finden wir unterhalb von allem das Anhaften. Wir wollen die Dinge auf eine gewisse Weise haben und drängen in diese Richtung. Der Buddha sagt: ‚Die Welt ist fließend, nicht fest. Dich auf das zu fixieren, was du haben willst, das ist es, was wehtut. Hör also auf, zu sehr an den Dingen festzuhalten.‘“
    Sie klappte das Buch zu und las, dass der Mann auf dem Titelbild Sakyong Mipham hieß. Sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn sie ihre Ängste und Erwartungen aufgeben könnte. Es fühlte sich gut an, so als ob eine riesige Last von ihren Schultern fiel. Vielleicht konnte es ihr hier, in Dahab, gelingen, diese Haltung zu üben. Es war alles so fremd hier, dass ihre Sorgen kurzfristig in einem angenehmen Nebel verschwanden.
    Es war seltsam, so zu leben. Sie hatte Zeit, sich zu überlegen, was sie im Augenblick wollte, und konnte sich nicht daran erinnern, dass das jemals über einen längeren Zeitraum so gewesen war. Als Kind hatte sie sich bemüht, ihren Eltern gerecht zu werden, dann war die Schule als schwierige Herausforderung in ihr Linkshänderleben gekommen, und nach dem Studium hatte sie schon bald mit Ralf Psychologie Morgen gegründet. In ihrer Freizeit war sie meistens mit Männern zusammen gewesen, deren Wohlbefinden ihr wichtiger war als das eigene. Sie dachte an den Film, dessen Namen sie vergessen hatte, in dem eine Frau nicht wusste, wie sie die Eier zum Frühstück mochte, weil sie sich ihr Leben lang der Vorliebe ihrer Partner angepasst hatte. Das war ihr schon damals vertraut vorgekommen. Sie war Mountainbike im steilen Gelände gefahren, obwohl sie sich davor fürchtete, hatte regelmäßig Opern besucht, obwohl sie sich langweilte,

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