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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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praktische Kochnische.
    Ich bleibe lange auf der kleinen Terrasse stehen. Ich liebe das Meer, den Geruch von Salz und Fischen, die Schiffe, die durch die Förde aufs offene Wasser fahren, den Sand, den Wind …
    Wie glückliche junge Hunde laufen unsere Kinder am Strand entlang. Ihr Vater hat ihnen Drachen gekauft, die eigentlich der Osterhase hätte bringen sollen. Wir sehen ihnen zu, Oskar hat den Arm um mich gelegt. Ich spüre ihn fast ein bisschen zu schwer auf meinen Schultern. Ich wäre gerne einmal ganz ohne Last. Dieses Gefühl habe ich mir bisher nie erlaubt. Aber ich sage nichts, ich bin froh, dass er da ist. Ich entdecke „mein“ Stück Strand. Hier wird mein Gebetsplatz sein. In dieser geschützten Bucht, die gerade weit genug weg ist vom Olympiadorf, dass es kaum noch Spuren im Sand gibt. Den meisten Urlaubern ist das zu weit entfernt von den Restaurants.
    Am Nachmittag liege ich in der Sauna, die zur Anlage gehört. Mein Bild war nie in den Zeitungen, der Fall ist hier uninteressant. Noch. Die drei Männer und Frauen, mit denen ich schwitze, weisen sich durch ihre Sprache als Touristen aus. Die Kieler sprechen anders. Ich höre ihnen zu, wie sie über „die blöden Neger in Kapstadt“ schimpfen, und dass man Angst haben muss, dass sie dieses schöne Land zerstören. Abschließende Worte der ausführlichen Diskussion: „Da mach dir mal keine Sorgen, die Nigger bringen sich gegenseitig um, da müssen wir Weiße gar nichts unternehmen.“ Ich beiße mir auf die Fingerknöchel. Ich darf nichts sagen, ich will nichts sagen, wir müssen uns bedeckt halten, wie Oskar es immer nennt. Mit einer Decke über dem Kopf leben und den Mund halten. Ich entdecke einen neuen Aspekt des Versteckspiels: Ich muss schweigen, obwohl ich mich einmischen möchte. Ich muss meine menschliche und politische Haltung verleugnen.
    17. März 1989
    Ich bin vierzig Jahre alt. Im letzten Jahr bin ich an meinem Geburtstag in einem Hotel auf der Reeperbahn in Hamburg erwacht und habe zum Frühstück den Haftbefehl serviert bekommen.
    Oskar geht weg, die Kinder flüstern etwas von einer Über­raschung, von der sie mir nichts erzählen sollen, und betteln so lange, bis er sie mitnimmt. Ich schlendere alleine am Meer entlang. Endlich. Ich liebe meine Familie. Aber manchmal komme ich mir vor wie eine Zirkusdompteurin, die ständig alle im Auge haben muss. Ich setze mich für eine Weile auf einen Stein und spüre die Anstrengung in meinem Körper.
    Als ich vom Strand zurückkomme, ist Oskar mit einer großen Torte zurück, und Lea überreicht mir ein selbst gemachtes Bild. Es ist eine Collage, auf der neben Einzelporträts von uns allen das Foto, das uns gemeinsam in Venedig auf dem Markusplatz zeigt, klebt. Sie hat es mir in Wien vor unserer Abreise abgebettelt. Darunter steht in ihrer bemühten schönen Kinderschrift: „Liebe Mama, wir sind so froh, dass du für uns alle da bist und wir ­immer auf dich fallen können.“ Ich bin gerührt, und Oskar sagt später, als wir allein sind: „Was für ein kluges Mädchen. Sie hat verstanden, dass wir uns alle auf dich stützen. Lass uns hoffen, dass dieses Versteckspiel bald zu Ende ist.“ Niklas schenkt mir das Micky-Maus-Oster-Sonderheft von seinem Taschengeld, und ich bewundere Lupo mit einem großen Eierkorb auf dem Rücken. Später werden wir es gemeinsam lesen.
    25. März 1989
    Es ist Karsamstag. Ich sitze im berühmten Café Fidler in Kiel, eine normale Touristin auf Sightseeingtour. Der Cappuccino ist gut. Die Stadt ist arm an Sehenswürdigkeiten, weil der Krieg fast alles zerstört hat. Aber ich mag sie. Sie ist so beruhigend unspektakulär. Ein nachlässiger Routineblick durch das gut besuchte Kaffeehaus. Niemand kommt mir bekannt vor, niemand sieht „österreichisch“ aus. Rund um mich nur norddeutsche Klänge. Ich bade in dieser Sprache, die mir die Sicherheit von beruhigender Fremdheit gibt, und weiß, dass ich Zeit brauchen werde, um sie zu lernen. Oskar sagt schon gekonnt „dafür nicht“, eine Übersetzung für „keine Ursache“, wenn man sich bei jemandem ­bedankt. Wir bemühen uns, so gut wir können, unsere österreichische Färbung zu verstecken – die Kinder tun ohnehin nur das, was sie immer tun: Sie fangen an, wie ihre Spielgefährten aus der Gegend zu

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