Lillys Weg
kann als du. Und auÃerdem brauchen wir die Sicherheit, dass uns niemand folgt.â
Als Lilly ihre Tourenski abschnallte, spürte sie, dass ihre Knie zum ersten Mal an diesem Tag weich wurden und die Angst ihren Magen wie mit einer Faust zudrückte. Hoffentlich war Ella da. Sie musste vom Parkplatz am Hochtannberg vierzig Minuten zu Fuà gehen, weil das Hotel mitten im Naturschutzgebiet lag. In der Gaststube empfingen sie Stimmengewirr und der Geruch von nahrhaftem Essen. Sie erfasste mit einem einzigen Blick, dass ihre Befürchtung stimmte. Was jetzt? Wen sollte sie fragen, wo ihre Freundin geblieben war? Ihr Plan hatte eine schwerwiegende Kommunikationslücke. Sie hatten Leander und ihre Mutter nicht eingeweiht, weil die beiden schon seit Langem dagegen waren, dass Lilly unter so groÃen Gefahren Oskar besuchte und Ella sich mitschuldig machte. Die wiederum hatte ihnen erzählt, dass sie eine Heilerinnenkonferenz in München besuchte, und konnte sogar einen Prospekt und eine Eintrittskarte vorweisen.
Im Gasthaus gab es eine dicke Erbsensuppe und zum Nachtisch einen flaumigen Kaiserschmarren. Niemand konnte sich darüber freuen. Auch Lea nicht. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte, und kuschelte sich schweigend in die Arme ihrer Mutter. âWir werden zum Papa fahrenâ, flüsterte ihr Lilly ins Ohr. âElla wird gleich da sein und uns nach München bringen.â Sie beobachtete misstrauisch die anderen Gäste, aber niemand nahm von der kleinen, bedrückten Gruppe Notiz. Es wurde gescherzt, hausgemachte Germ- und Speckknödel gegessen und so mancher Obstler getrunken.
Sie waren schon eine Stunde hier, als Ella atemlos und mit schmutzigen Händen auftauchte: âIch hatte eine Reifenpanne, ich muss auf der Baustelle neben unserem Haus auf einen Nagel gefahren sein, und als ich schon fast auf dem Pass war, ging mir buchstäblich die Luft aus. Mitten im Niemandsland und weit und breit keine Telefonzelle.â Sie war eine gute Mechanikerin und hatte mit einem ihrer Brüder als Jugendliche einen Wettstreit gewonnen, wer schneller Reifen wechseln konnte.
Es war ein inniger Abschied auf dem Parkplatz des Hochtannbergpasses. Rudi und Johanna nahmen die drei Reisenden noch einmal in die Arme. Lilly etwas länger, weil sie noch immer ganz blass war. Rudi, der fand, dass man Rituale aus anderen Berufsgruppen, wenn sie einem gut gefielen, adoptieren sollte, spuckte ihnen dreimal über die Schulter. âToi, toi, toiâ, sagte er und ÂJohanna verzog das Gesicht, weil er vor ihr mit einer SchauÂspielerin liiert gewesen war, die ihn mit einem Kollegen betrogen hatte. Rudi hatte trotzdem gute Erinnerungen an die Exgeliebte, denn immerhin verdankte er diesem Umstand, dass er Johanna gefunden hatte. Die beiden wollten heiraten, sobald die Scheidung von Kevin rechtskräftig war.
Rudi schnallte Lillys und Leas Tourenski auf Ellas DachÂständer: âKein Zöllner kontrolliert ein Auto, das nach einem Skiurlaub aus Ãsterreich über die deutsche Grenze fährt.â Die Koffer, die Ella mitgebracht hatte, waren neu. Sie hatte sie beim Lederwaren Hofmann in der Bregenzer KaiserstraÃe gekauft, dort war sie nicht bekannt und niemand hatte sie gefragt, wohin sie verreisen wollte. Den Inhalt hatte Lilly wie immer in kleinen Raten in den Bregenzerwald gebracht oder jemandem aus der groÃen Vorarlberggemeinde in Wien, als Geschenk getarnt, mitgegeben. Vieles gab es inzwischen ohnehin doppelt, weil es zu mühsam war, alles hin und her zu schleppen. Sie hatte sich an die erstaunten Gesichter der Verkäuferinnen gewöhnt, wenn sie zwei Paar gleicher Schuhe kaufte.
15. März 1989
München Hauptbahnhof. Wir warten auf den Nachtzug nach Hamburg. Nicht am Bahnhof, dort gibt es zu viel Polizei. Wir sitzen bei einem guten Italiener in einer der SeitenstraÃen, den Chris uns empfohlen hat, und ich genieÃe, dass Ella noch da ist. Wir haben vom Restauranttelefon Rudi und Johanna im Hotel in Lech angerufen. Niemand hat sie belästigt: âDas ist auch nicht üblich. Wieso sollten sie eine Operation, die schiefgegangen ist, auch noch auffällig kommentieren. Eines ist klar, von nun an sind Johanna und ich auch offiziell verdächtig. Aber das waren wir vorher wahrscheinlich auch schon.â Rudi klingt ganz vergnügt. Er hat richtig Spaà an seiner subversiven Tätigkeit: âDas ist mein Wiedergutmachungsprogramm, dafür, dass
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