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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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plappern.
    Jetzt laufen sie in der Fußgängerzone herum, ich sehe sie von meinem Fensterplatz im ersten Stock, Oskar macht die letzten Einkäufe für unseren traditionellen Ostersonntagsbrunch. „Ohne Beinschinken geht das gar nicht“, hat er gesagt, als ob es darauf ankäme. Ich wäre auch mit trockenem Brot zufrieden, solange wir zusammen sind. Am Nachmittag bemalen wir in unserem Appartement Ostereier. Draußen pfeift der Wind – wie immer. Gibt es hier auch Tage ohne Wind?
    Es ist acht Uhr abends. Der Schock kommt und rennt offene Türen ein, die nicht verschlossen sind, weil wir uns so sicher und entspannt fühlen. Oskar hat in Wien angerufen und kommt blass vom Telefon zurück: „Es gibt eine Riesengeschichte über mich in einer Zeitung, in der steht, dass ich in Kiel wohne.“ Ich versuche Details zu erfahren, rufe alle Freunde an, niemand hebt ab. Ralf ist bei Chris und die beiden ziehen meistens den Stecker aus dem Telefon, wenn sie sich länger nicht gesehen haben. Schließlich fällt mir Annemarie in Bregenz ein. Sie muss im Hotel sein, es ist Hochsaison, und Zeitungen gibt es dort auch. Wir warten nervös, bis sie uns zurückruft. Die Kinder sind außer Rand und Band, wie immer, wenn sie unsere Spannungen ertragen müssen. Ich bitte sie gereizt, ihre Schlafanzüge anzuziehen, was zur Folge hat, dass sie zwar meinen Auftrag erfüllen, aber dafür eine lautstarke Kissenschlacht beginnen.
    Die Nachricht stimmt. Oskar Baldini liefert die Schlagzeilen des Tages: „Paolo Vicentes Mitarbeiter kündigt der Justiz an, er werde sich nach Ostern den deutschen Behörden stellen.“ Und weiter: „Baldini lebt nach eigenen Angaben in der Hafenstadt Kiel.“
    Unser Osterbummel heute Vormittag in der Kieler Innenstadt, der Besuch im bekanntesten Café weit und breit bekommt plötzlich einen Schuss Wahnsinn. Sind wir verrückt, uns so normal zu bewegen? Sollten wir nicht immer mit solchen Überraschungen rechnen?
    Wir müssen umziehen! Das Olympiadorf ist gefährlich geworden. Wenn die deutschen Medien die Meldung übernehmen, dann werden der Wohnungsvermieter und unsere netten Nachbarn aus dem Ruhrpott, mit deren Kindern Lea und Niklas seit Tagen spielen, Oskars Gesicht in der Zeitung erkennen.
    Lilly glaubte an Fügungen. Schon lange. Ohne diese kleinen Lücken, die das Schicksal frei ließ, damit sich Wunder ereignen durften, hätten sie bisher nicht überlebt.
    Die Frau hatte ein herbes, interessantes Gesicht, mit einer Adlernase, die zu ihrem kühnen Blick aus dunkelbraunen Augen passte. Sie öffnete erstaunt die Tür, als Oskar und Lilly am Ostersonntag um zehn Uhr am Vormittag an ihr Haus in einem kleinen Vorort von Kiel, direkt am Meer, klopften. Es gab keine Klingel. Ein zarter Junge, der in Niklas’ Alter sein musste, kam aus dem Wohnzimmer und versteckte sich, als er die Fremden sah, scheu hinter seiner Mutter. Sie hatte Mehl an den Händen und duftete nach Gewürzen, die nicht zur norddeutschen Küche gehörten.
    Erstaunt schaute sie in die Gesichter der beiden, die die Spuren einer schlaflosen Nacht trugen, und sagte einfach nur: „Kommt doch herein.“ Der Satz war wie ein warmer Wind und Lilly spürte, wie er ihr die Tränen in die Augen trieb.
    Oskar hatte Anke auf einem seiner langen Spaziergänge kennengelernt. Sie nahm jeden Tag denselben Weg am Strand mit Frisou, ihrem zottigen weißen Hund, der wie ein Schaf aussah, und sie jetzt schwanzwedelnd begrüßte. Von Oskar wusste Lilly, dass sie mit Lars, ihrem Sohn, und ihrem zweiten Mann lebte.
    Das Haus war groß genug für zwei Familien und Anke fragte nicht nach, was sie bewogen hatte, um Unterkunft zu bitten. „Ich bin vor zwei Jahren einer Frau begegnet, die mich gelehrt hat, ohne Urteil zu lieben. Sie reist durch die Welt, umarmt Menschen, ohne zu fragen, ob sie gut oder schlecht sind, und hilft den Armen. Nicht nur durch Spenden, sondern auch durch einen sinnvollen Aufbau von Infrastruktur, damit sie sich selber helfen können. Ich war in ihrem Ashram in Indien. Ich weiß, dass es meine Aufgabe ist, dieser Liebe zu folgen, so gut ich kann. Das ist mein Beitrag.“ Die Bilder der Inderin mit den warmen Augen, die sie Amma nannte, hingen überall. In der Küche, im Wohnzimmer, und als sie durch die offene Tür ins Schlafzimmer sah, lächelte sie ihr in einem großen Rahmen auf einem

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