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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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als Frühchen geboren wurde und die Krankenschwestern mir kleine Handschuhe aus Baumwolle geschenkt haben, damit sie sich nicht kratzen kann, hat sie mich beschuldigt, ich hätte die Fäustlinge im Krankenhaus gestohlen. Oskar tut so, als ob er ihre Bemerkung nicht gehört hätte, steht auf und holt eine neue Flasche Wein. Er geht an mir vorbei und berührt mich nicht. Ich spüre seinen Loyalitätskonflikt und fühle mich allein gelassen.
    Der unausgesprochene Groll von vielen Jahren, die Enge in dem kleinen Blockhaus und meine Entschlossenheit, mir von meiner Schwiegermutter nichts mehr gefallen zu lassen, werden plötzlich übermächtig. Ich spüre, wie rote Wagenräder vor meinen Augen kreisen, und ein unbändiger Hass in mir hochsteigt. Ich möchte sie am liebsten schlagen. Ich schaffe es gerade noch, meine Hand unterm Tisch festzuhalten und die Zähne zusammenzubeißen. Ich kann es kaum erwarten, bis die Kinder im Bett sind, und sie auch endlich schlafen geht. Sie tut mir den Gefallen nicht, und als ich demonstrativ ins Badezimmer gehe, bleibt sie mit ihrem Sohn sitzen.
    Als er endlich, vom Wein fröhlich gestimmt, zu mir ins Bett kriecht, bin ich nur noch wütend: „Oskar, du musst dich entscheiden. Ich werde morgen abreisen oder deine Mutter reist ab.“ Ich merke plötzlich, dass er mich all die Jahre nie vor ihr geschützt hat, und mein Zorn richtet sich gegen beide. Er schüttelt unwillig den Kopf: „Können wir das bitte morgen besprechen, es ist schon spät.“ Ich stehe auf und lege mich zu den Kindern ins untere Stockbett. Sie rutschen bereitwillig zur Seite und schlafen weiter. Ich höre ihren Atem und werde ganz ruhig. Ich bin Mutter, das genügt für diese Tage. Die Frau wird sich ihren Platz wieder nehmen, aber nicht jetzt. Ich werde ihre Großmutter nicht aus dem Haus jagen und auch nicht mit ihnen abreisen. Wir hatten es lange genug schwer. Das Glück soll bleiben.
    Am nächsten Tag ist an der Oberfläche wieder alles wunderbar. Wir machen einen langen Spaziergang und enden in einem der urigen Wirtshäuser am See. Clarissa, die spürt, dass sie den Bogen überspannt hat, packt ihre süße Seite aus, die ich sonst nur kenne, wenn Gäste da sind. Sie lädt uns alle zu einem frühen Abendessen ein und ich genieße es, dass es mir egal sein kann, wer am Nebentisch sitzt.
    Ich kehre wieder in Oskars Bett zurück. Und dennoch: Mein Glück mit ihm hat durch die Rivalität mit seiner Mutter einen Riss bekommen, aus dem in der Nacht alte Geschichten als ungebetene Gäste quellen: Ein Lokal in Salzburg. Wir sind bei Clarissa zu Besuch und ich möchte mich an einem anonymen Ort mit Oskar von ihr erholen. Leise Barmusik, fröhliche Menschen, Schwarzbrot mit köstlichen Aufstrichen, im Ofen überbacken, und volle Bierkrüge werden durch den Schankraum getragen. Der Ehering an meinem Finger ist noch ganz neu und ich lege meine Hand auf den Tisch, damit ich ihn bewundern kann. Eine Frau betritt das Lokal und setzt sich ungefragt zu uns. Oskar macht eine abwehrende Geste und lässt dann resigniert seine Hand sinken: „Lilly, das ist Natalie, sie lebt in der Schweiz und ist geschäftlich hier. Ihr habt euch noch nicht kennengelernt.“ Ich werde rot. Ich habe diese Frau verdrängt, seit die nächtlichen Anrufe aufgehört haben. Sie gehört nicht mehr zu Oskars Leben, man darf eine Verlobung auch lösen, wenn die Liebe zu Ende ist. Ich registriere, dass ihr blondes, dichtes Haar glatt auf ihre Schultern fällt und ihre blauen Augen sich im Zorn verengen: „Wie geht’s der jungen Ehefrau? Ist er nicht ein wunderbarer Liebhaber?“ Oskar sagt hilflos: „Bitte, Natalie!“ Er sagt es mit einer Stimme, in der ich Stärke und Konsequenz vermisse. Sie ignoriert ihn und zischt den nächsten Satz so wütend heraus, dass ihre Spucke wie ein Sprühregen kurz vor meinem Gesicht endet und auf den blank gescheuerten Wirtshaustisch fällt: „Stört es dich eigentlich nicht, dass er bis zu eurer Hochzeit noch immer mit mir gevögelt hat und kurz danach mit mir nach San Francisco geflogen ist?“ Meine Antwort macht mich selbst sprachlos. Es ist, als ob eine Fremde in mir, der ich bisher noch nicht begegnet bin, antwortet und zurückzischt: „Solange er häufig genug mit mir vögelt und mit mir reist, ist mir eine Schlampe wie du egal.“ Ich

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