Lillys Weg
bin so über mich selbst schockiert, dass ich in Panik aus dem Lokal wegrenne. Oskar holt mich ein, als ich mich am Giselakai auf eine Bank setze und verzweifelt in die Salzach starre. âBitte,
Lilly, es ist alles anders, als du denkst.â Meine Stimme ist aus Stahl, als ich ihn frage: âWarst du mit ihr in San Francisco nach unserer Hochzeit?â â âJa, sie hat es sich zum Abschied gewünscht.â Er bestreitet, dass er mit ihr geschlafen hat, und ich will es glauben, weil ich ihn liebe. Oskar lächelt. Er hat das ÂhinreiÃendste Lächeln der Welt. Ich lächle nicht zurück: âUnd warum hast du mir dann die Story vom Meeting mit den ameÂrikanischen Geschäftspartnern von Paolo erzählt?â Oskar ist Âzerknirscht und stottert Entschuldigungen. Ich höre einzelne Wortfetzen durch meinen Nebel im Kopf und will vertrauen, dass Natalie ihm leidgetan hat, dass es nie mehr vorkommen wird, dass ich die einzige Frau in seinem Leben bin und immer bleiben werde.
Doch eine Frage bleibt offen: Warum ist Oskar eine Woche nach unserer Hochzeit mit einer anderen weggefahren? Als Antwort sagt eine böse kleine Stimme in mir: âDu hättest damals gehen können, stattdessen hast du mit ihm eine Familie mit zwei Kindern gegründet.â Ich denke an Lea und Niklas, die unter uns in ihrem Stockbett schlafen. Es gab nie und wird nie eine Sekunde geben, in der ich bedauern werde, dass es sie gibt.
Ich atme tief durch. Oskar ist heute ein anderer. Ich muss die Vergangenheit endlich ruhen lassen. Ich bin nicht das Opfer, und Oskar ist nicht der Täter. In der Choreografie unseres LiebesÂlebens tauchen plötzlich Bilder auf, die ich bisher gut unter Verschluss gehalten habe:
Oskar und ich bei einem Meeting mit Geschäftspartnern von Paolo. Es geht um viel Geld und Oskar hat mich gebeten, mir ein neues Kleid zu kaufen. Er sagt nicht dazu, dass ich erotisch aussehen soll, aber ich weià es. Das Kleid ist rot und hauteng
mit einem Seitenschlitz. Seine Gesprächspartner ziehen mich
mit Blicken aus, und ich genieÃe es. Ich habe ein Faible für Italiener, und als der Wichtigste unter ihnen mir die Hand küsst und Oskar fragt, ob er mich kurz an die Bar entführen darf, nickt Oskar, und ich merke, dass ich zwischen den Beinen feucht werde.
Der Fremde und ich brauchen nicht viele Worte. Wir wissen beide, dass nur die gesellschaftlichen Regeln und die Angst vor den Folgen uns davon abhalten, übereinander herzufallen. Er sagt mir, dass er sehr bedauert, dass er mir nicht schon früher begegnet ist, und steckt mir unauffällig seine Visitenkarte zu: âDenken Sie an mich, falls Sie jemals frei sein sollten.â Ich sitze mit dem Rücken zu meinem Mann und verrate ihn. Mit meinen Blicken, mit meinen Gefühlen, mit der Hitze, die dieser Fremde in mir auslöst. Es ist lange her, dass ich dieses köstliche Gefühl von Geilheit, das meinen Unterleib zum Pulsieren bringt, mit Oskar gespürt habe.
Für das nächste Bild habe ich mindestens die kleine Entschuldigung, dass ich schon wusste, dass Oskar mich mit Rosi betrogen hatte. Und dennoch, es war nicht Rache, die mich in die Arme von Malcolm getrieben hat. Es war ein tiefes Gefühl, als Frau wieder angekommen zu sein.
Flughafen Wien. Ich stehe mitten unter den Taxifahrern, die Schilder mit Namen vor der Brust tragen, und warte auf Âeinen der Verfechter der Sanften Geburt. Morgen wird er in Wien auf einem Kongress sprechen, heute ist der Arzt mein InterviewÂpartner. Inzwischen kommen nur noch ein paar Nachzügler durch die automatischen Türen des Flughafens. Ich gehe auf Âjeden Mann mit Anzug und Krawatte zu, aber keiner reagiert. Als alle gegangen sind, bleibt nur ein groÃer schlaksiger Mann mit grünen Augen, wilden grauen Locken und einem Seesack über der Schulter übrig, der seltsam deplatziert auf den polierten Marmorfliesen der Ankunftshalle steht. Wir starren einander an, und ich sage ungläubig: âMalcolm?â Und er antwortet nicht Âweniger überrascht: âLilly?â Ich hatte mir den Chef einer der gröÃten Geburtshilfekliniken Amerikas anders vorgestellt.
Das Interview findet in einem kleinen Konferenzraum seines Hotels statt. Während ich mein Tonband aktiviere, sieht Malcolm mir auf eine Weise zu, die alle meine Hirnfunktionen durcheinander bringt. Ich weià nicht einmal mehr, wo die Starttaste ist, und hoffe, dass
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