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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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durchs Land wieder auf die A7 zurückgekehrt. Es war dasselbe graue Band, doch die Lilly von gestern gab es nicht mehr. Die Nomadin, die in jeder Zelle ihre Abenteuerlust spürte und in den Tag hineinlebte, hatte sich in die Frau des Häftlings verwandelt. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie am Abend mit dem Franzosen geflirtet hatte, während Oskar schon im Gefängnis saß, und trat das ­Gaspedal bis zum Anschlag durch. Das Auto hatte nur 90 PS, aber es reichte, um einige Geschwindigkeitsbegrenzungen zu übertreten.
    Sie durfte erst um vierzehn Uhr zu Oskar, aber daran dachte sie nicht. Sie war eine Maschine, die automatisch, wie fern­gesteuert, funktionierte. Sie aß nicht, sie trank nicht, sie spürte nichts. Als sie aufschrak, weil das laute Pfeifgeräusch eines ­Lastwagens, dem sie zu nahe gekommen war, sie aus ihrem ­Sekundenschlaf gerissen hatte, erwachte sie aus ihrer Trance. Sie durfte nicht sterben, auch wenn das vielleicht eine Lösung gewesen wäre.
    Lilly lenkte ihren weißen Sportwagen mit den roten Leder­sitzen, der so gar nicht mehr in ihr neues Leben passte, auf den nächsten Parkplatz und holte die geblümte Decke aus dem Kofferraum, die Ella ihr mitgegeben hatte. Sie hörte ihre Stimme: „Und vergiss nicht, dass du dich immer wieder auf eine Wiese legen sollst, das wird dir helfen.“ Sie hatte nicht verstanden, wobei das helfen sollte. Aber sie hatte nicht nachgefragt, und Ella hätte ihr wohl auch keine Antwort gegeben. Sie wusste, wann sie die Bilder, die sie sah, bei sich behalten musste.
    Lilly ignorierte die interessierten Blicke der Lastwagenfahrer auf dem Parkplatz, legte sich auf ein winziges Stück Rasen unter den einzigen Baum und schlief sofort ein, den Autoschlüssel fest in der Hand. Als sie nach einer Stunde erwachte, fühlte sie sich erfrischt und fuhr weiter. Sie kaufte sich an der nächsten Tankstelle eine Flasche Wasser, trank einen Kaffee, aß ein Brötchen und tankte.
    Ihr war klar, dass sie demnächst das Gefängnis finden musste und dass ihr ohnehin schlechter Orientierungssinn vollständig versagte, wenn sie nervös war. Als sie ihren Tank füllte, sah sie einen Mann, der gerade in sein Auto mit Kieler Kennzeichen stieg. Er nickte, als sie ihn nach der Faeschstraße fragte. „Das ist ganz einfach, fahren sie einfach hinter mir her. Ich muss zum Schützenwall, das ist gleich um die Ecke.“ Es beruhigte Lilly, dass der Fremde die Führung übernahm, doch als er an einer Stelle rechts blinkte, hupte und freundlich winkend weiterfuhr, fühlte sie sich plötzlich verlassen. So, als ob sie einen wichtigen Beschützer verloren hätte. Sie bog ab und fuhr nach ein paar Metern rechts in die Faeschstraße ein.
    Plötzlich rumorte es in ihrem Bauch, Angst machte sich breit, und sie brauchte unbedingt eine Toilette. Auf der rechten Straßenseite sah sie die Justizanstalt aus rotem Backstein. Auf der linken Seite stand als hässliches Gegenstück ein großer Supermarkt mit einem halb leeren Parkplatz. Weit und breit kein Café. Bei dem Schild „Nur für Kunden“ parkte sie und rannte durch die gläserne, breite Eingangstür. Sie suchte verzweifelt nach einer Toilette. Vergeblich. Lilly spürte Panik in sich aufsteigen und bat eine Kassierin um Hilfe, die ihr ausnahmsweise mit ihrem Schlüssel die Personaltoilette öffnete.
    Erleichtert kehrte sie in die Verkaufsräume zurück und irrte zwischen den Regalen umher. Sollte sie Oskar etwas mitbringen? Sie entschied sich für seine Lieblingsschokolade, Nuss mit Krokant, und stellte sich an der Kasse an. Jede Sekunde, die sie von dem ablenkte, was sie erwartete, war ihr recht. Es war ein Uhr mittags, sie hatte seit dem Brötchen auf der Autobahn nichts gegessen, aber ihr Magen revoltierte schon beim Gedanken an Nahrung.
    Dann stand sie endlich unschlüssig vor dem großen Gebäude aus rotem Backstein. Es hatte Würde und Stil und hätte ebenso ein edles Regierungsgebäude sein können. Wenn nicht überall diese hässlichen Gitter wären. Sogar die ovalen Dachfenster ­waren weiß gestreift. Am Rand des Gehsteigs, gegenüber der Justizvollzugsanstalt, lagen zwei Holzpaletten aufeinander, die jemand hier liegen gelassen hatte. Lilly setzte sich und starrte wie betäubt das Gebäude an, in dem Oskar irgendwo in einer Zelle saß. Sie fühlte sich leer, gleichzeitig nahm

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