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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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Betrunkene redselig nach Hause gehen. Meinen Plan, an dem Platz am See in der Nähe der Weser Station zu machen, habe ich wieder aufgegeben. Es ist anstrengend, mit Bärli zu fahren. Ich bin es nicht gewöhnt, einen 3,2-Tonner zu lenken, und jeder Umweg ist mir im Augenblick zu viel. Das Dorf liegt nur eine Viertelstunde von der A7 entfernt und verdankt seine Auswahl als Schlafplatz einer besonderen Attraktion: Das einzige Wirtshaus im Ort nennt sich Schnitzel­paradies und der volle Parkplatz versprach gute Qualität oder besonders große Portionen. Das zweite war der Fall.
    Ich höre Lea und Niklas leise atmen und meine Sorge liegt gemeinsam mit dem Schnitzel wie ein schweres Paket in meinem Magen. Morgen wird unsere Reise in Kiel auf einem Campingplatz an der Außenförde enden, und dann trennen uns nur noch ein paar Kilometer von ihrem Vater. Ich werde mit ihnen in das Haus gehen, in dem er als Gefangener lebt, und seinen überwältigenden Schmerz spüren, dass er von seinen Kindern so lange getrennt war. Er wird seine Kieferknochen anspannen, um nicht zu weinen, und sie werden versuchen, fröhlich zu sein. In seiner Zelle sind die Wände voll mit Bildern, die sie in den letzten Monaten für ihn gemalt haben. Es sind Zeichnungen, auf denen wir eine glückliche Familie sind. Auf der letzten, die wir ihm geschickt haben, stehen wir zu viert vor unserem Wohnmobil, und der Gartenzwerg, den uns Ella geschenkt hat, ist auf ihrem Gemeinschaftsbild genauso groß wie sie selbst.
    Ich habe mich in den letzten Monaten bemüht, Lea und Niklas so etwas wie ein normales Leben zu bieten. Wir haben viel gelacht, jedes Wochenende Ausflüge gemacht und unsere Großfamilie noch mehr gepflegt. Ralf, Johanna und ihre Kinder mit Rudi sowie Ella und meine Mutter haben uns dabei unterstützt, die Lücke, die Oskar hinterlässt, nicht noch stärker zu spüren. Früher, als das Leben auch nicht einfach war, konnten wir ihn an seinen Fluchtorten besuchen und für kurze Zeit so tun, als ob wir eine normale Familie wären.
    Ein Campingplatz mit Dauercampern ist ein eigenes Universum und die Bewohner haben ihre festen Plätze und Gewohnheiten. Sie leben monatelang hier und lassen sich von Wind, Wetter und Kälte nicht davon abhalten, ihr Sommerquartier zu beziehen. Sie sind mit Heizungen, Vorzelten mit fest eingebauter Küche, kleinen Gärten mit ganzen Gartenzwergfamilien samt Verwandtschaft und eigenen Wasseranschlüssen ausgestattet. Wenn dann viel später die Touristen für zwei oder drei Wochen auf Urlaub kommen, werden sie auf der einen Seite als unnötige Belästigung und auf der anderen Seite als willkommene Abwechslung mit hohem Unterhaltungswert gehandelt.
    Lilly sorgte in ihren ersten Minuten auf Ellernbrook für Letzteres. Es regnete, wie es hier im Norden schon die letzten Tage geregnet hatte. Der Weg zu ihrem Platz mit Blick auf die Kieler Förde, den sie schon im März gebucht hatte, war matschig. Als die Räder von Bärli durchdrehten und im Schlamm stecken blieben, versammelte sich die gesamte Campinggemeinde und versorgte sie mit Spott und guten Ratschlägen. Ein junger Mann, der sich als Gori vorstellte, zog sie schließlich mit dem Trecker aus dem Schlammloch. Von da an gehörten Lilly und ihre Kinder dazu und erfuhren auch noch die Namen von mindestens zehn weiteren Dorfbewohnern.
    Zwei davon lernte Lilly schon am nächsten Tag näher kennen. Als alles ausgepackt war und die Zeit näher rückte, mit dem Bus nach Kiel zu ihrem Vater zu fahren, versteckte sich Niklas auf dem Hochbett über dem Fahrerhaus und wollte nicht mit. Kein Flehen, kein Schimpfen, keine Versprechungen, nachher einen Spielzeugladen zu plündern, konnten seine Meinung ändern. ­Lilly kannte das von ihm. Er umging schwierige Gefühle, so gut er konnte, und weigerte sich konsequent an etwas teilzunehmen, was ihn dorthin bringen könnte.
    Die Wände sind dünn in einem Wohnmobil und die Nachbarn nahe. Lilly war schweißgebadet und spürte, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen, als es an die Tür klopfte. Ricki, ihre Nachbarin aus der nächsten Reihe, stand da, mit einem Teller in der Hand: „So, mein Junge“, sagte sie zu dem verblüfften Niklas, der sofort aufhörte zu weinen. „Du kommst jetzt da runter, isst bei mir einen süßen Grießbrei, und wenn deine Mama es erlaubt, kannst du mit Ludwig

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