Lillys Weg
herumzukommandieren. Aber Paolo war kein Mann mehr für sie. Er war ein Freund, ein Spinner, ein Original, ein Genie, sie konnte ihn nicht mit normalen MaÃstäben messen.
Er hinterlieà an jedem Tisch eine Wortspende und sein starkes Parfum, und es gab kaum jemanden, den er nicht begrüÃte. Sie waren schon fast am Ende des kiesbestreuten Weges angelangt, als Paolo plötzlich ausrief: âDa bist du ja endlich, ich habe dich den ganzen Vormittag versucht zu erreichen!â Der Mann, dem er jetzt auf die Schulter klopfte und dann vertraulich seinen Arm um ihn legte, war genauso klein wie er und vermutlich in einem ähnlichen Alter. Er trug so wie Paolo einen schwarzen Anzug und sein braun gelocktes, ziemlich langes Haar mit ein paar grauen Strähnen gab ihm eine verwegene Note. âDas ist Lilly, sie schreibt ganz anständige Sachen, wenn sie will.â
Der Mann nahm ihre Hand und sah sie mit einem sehr aufmerksamen Blick aus seinen braunen, golden gesprenkelten Augen an. Seine Nase war etwas zu groà und sein Mund zu breit, und gleichzeitig wirkte sein Gesicht seltsam harmonisch und attraktiv. Sein Körper war durchtrainiert, und als sie etwas später gemeinsam zum Vortragssaal schlenderten, bemerkte Lilly, dass der Mann, der ihr als Oskar vorgestellt worden war, einen ähnlichen Gang wie Paolo hatte und ebenfalls genagelte Schuhe trug.
Lilly saà zwischen den beiden Männern und versuchte aufmerksam dem Vortrag zu folgen. Es war nicht einfach, weil Oskar sie von der Seite beobachtete und dieser Tätigkeit ungeniert Vorrang gab. Sie machte sich ein groÃes Rufzeichen auf ihre Notizen. Wenn das stimmte, was dieser Mann vortrug, dann kam eine Revolution auf sie zu. Dann lief alles falsch in unserer Gesellschaft. Kinder wurden kontraproduktiv unterrichtet, Mitarbeiter nicht genug motiviert, Beziehungen mussten unter ganz neuen Gesichtspunkten betrachtet werden. Ralf würde fasziniert sein.
Noch in den Applaus hinein übernahm Paolo mit seinen knappen Gesten unauffällig die Regie für das Programm danach. Er deutete hierhin und dorthin, winkte Menschen zu sich heran, und kaum strömten die Gäste dem Ausgang zu, hatte sich um Paolo schon eine Runde von Männern versammelt, die nur vereinzelt von Frauen begleitet waren. âWir treffen uns im Demel im zweiten Stock, ich habe einen Salon reservieren lassen.â
Lilly stieg nicht in eines der Taxis, die er bestellt hatte. Sie zog es vor, zu Fuà zu gehen und schlenderte über den Schwarzenbergplatz an der Oper vorbei durch die Kärntner StraÃe über den Graben zur berühmten Hofkonditorei. Als sie dort ankam und mit leichtem Bedauern von der sonnigen StraÃe ins Stiegenhaus trat und die Türe zum ersten Stock öffnete, war der Demel -eigene Service schon im vollen Gang. Demelinerinnen, wie das Servierpersonal in den schwarzen Kleidern mit den weiÃen Schürzchen genannt wurde, eilten mit Silberplatten durch die ehrwürdigen Räume und sprachen die Gäste in der dritten Person an. âMöchten ablegen, gnädige Frau?â, sagten sie zu Lilly, die einen leichten Mantel über dem Arm trug, und nahmen ihr das Kleidungsstück beflissen aus der Hand. Es gab Champagner, geräucherten Lachs mit Salat und kleine, köstliche Törtchen aus der hauseigenen Backstube. Die Tischgespräche fielen in die Kategorie ânützlich mit Tauschgeschäftscharakterâ. Die Männer gaben einander Informationen weiter, versprachen hier und dort Hilfe bei politischen Interventionen und nahmen von den Frauen, die nur eine dekorative Rolle spielten, kaum Notiz.
Lilly fühlte sich unwohl. Und während Paolo in seinem Element war, schien auch Oskar sich zu langweilen. Er saà neben seinem Boss, wie er ihn im Gespräch manchmal nannte, und schloss immer wieder seine Augen, als ob er unauffällig ein kleines Nickerchen machte. Wenn er sie dann wieder öffnete, fiel sein Blick unweigerlich auf Lilly, die ihm direkt gegenüber saÃ. Dann studierte er so lange ihr Gesicht, bis sie unter seinen Blicken rot wurde.
Nach einer Stunde beschloss sie, unauffällig abzuhauen, und entfernte sich, ohne sich von Paolo und den anderen Gästen zu verabschieden. Sie würden sie nicht vermissen, hier ging es um Networking zwischen Männern, bei den Frauen genügte es, dass sie verschwiegen waren.
Sie nahm ihren Mantel und trat auf den Kohlmarkt hinaus. Es war inzwischen
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