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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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Mühe, seine Frage zu wiederholen.
    Als die Stille unerträglich wurde, beschloss Lilly, ohne Kommentar wieder auszusteigen und Oskar im Taxi zurückzulassen. Sie hatte gerade die Hand auf die Türklinke gelegt, als er das Schweigen brach: „Wo Sie wohnen, müssen Sie schon selber wissen.“ Er sagte es zärtlich, und seine Stimme war wie eine Berührung, die sie verzauberte.
    Lilly hörte sich zum Taxifahrer sagen: „Servitengasse, gegenüber der Kirche“, und die einzige Frage, die sie beschäftigte, war die, ob der Fahrer sauer sein würde, weil die Fahrt nicht viel länger als fünf Minuten dauern würde.
    Lilly hatte Mühe, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Ihre Hand zitterte so stark, dass sie nicht merkte, wie auch ihre Knie zitterten. Sie machte Licht, und Oskar pfiff anerkennend, als er vom Vorraum in ihr großzügiges Wohnzimmer trat. Sie hatte ihn nicht gebeten, seine Schuhe auszuziehen, weil es ihr plötzlich peinlich und spießig vorkam. Sie konnte Straßenschuhe in privaten Räumen nicht ausstehen, und Ralf, der das ähnlich sah, pflegte zu sagen: „Wer sich freiwillig Hundescheiße nach Hause einladen möchte, möge sich gern bedienen.“
    Sie bot Oskar einen Drink an, und obwohl sie eigentlich nichts anderes wollte, als seine Haut auf ihrer Haut zu spüren, hatte Lilly Angst, die Initiative zu ergreifen. Sie wollte diesen Mann nicht verlieren, noch ehe es begonnen hatte.
    Sie saßen auf ihrem weißen Sofa und redeten und redeten. Er hatte seine Hand auf ihren Nacken gelegt, mehr nicht. Es war vier Uhr morgens, als Oskar auf die Uhr schaute und sagte: „Ich muss jetzt gehen, Lydia wohnt noch bei mir, sie wird sich sonst Sorgen machen.“ Lilly spürte, wie sich ihre weit offene Vagina wie eine Auster verschloss. Dann eben nicht … Sie sagte es nicht, aber ihr verschlossener, misstrauischer Blick aus schmalen Augen brauchte keinen Text.
    Sie standen im Vorzimmer, Lilly steif wie ein Brett, als Oskar sie zärtlich in den Arm nahm und ihre verschlossenen Lippen mit den seinen öffnete. Er küsste sie so lange, bis sie ihren Widerstand aufgab, dann hielt er sie ein Stück von sich weg und sagte ernst: „Das ist anders mit dir, ich will kein Spiel. Ich werde meine Beziehung zu Lydia abschließen und dann wiederkommen.“

    01 Er ist keiner von uns, das tut nicht gut. Wir sind arm und sie sind reich.
    02 Mädchen aus dem Bregenzerwald
    03 Du bist eine echte Wälderin, man merkt das Wiener Blut nicht.
    04 Bauerntisch

2. Kapitel
    Ralf liebte Lilly. Sie war seine Seelenschwester und für ihn war klar, dass er sie schon aus vielen anderen Leben kannte. Er sprach selten über seine Erfahrungen aus längst vergangenen Zeiten. Es passte nicht zum Image des seriösen, kritischen Zeitungsmachers. Lilly wusste davon und nannte seine Reinkarnationstheorien liebevoll eine Spinnerei. Ihr genügte, dass Ralf für sie wie der Bruder war, den sie sich immer gewünscht hatte.
    Lilly hatte tatsächlich einen Bruder. Theo. Er war auf seltsame Weise in ihr Leben gekommen. Und auch wenn es damals ein Schock gewesen war, so wurde er nach kurzer Zeit zu „mon petit trésor“, mein kleiner Schatz, wie sie ihn zärtlich nannte, wenn sie ihn alle vierzehn Tage von der Schule abholte und mit ihm den Nachmittag verbrachte.
    Zum ersten Mal war sie ihm am Grab ihres Vaters auf dem Wiener Zentralfriedhof begegnet. Die Bilder dieser Szene waren wie ein Film in ihrer inneren Bibliothek gespeichert: Eine Frau und ein Kind blieben, nachdem die geladenen Trauergäste zum Leichenschmaus in eines der traditionellen Gasthäuser auf der Simmeringer Hauptstraße vorausgegangen waren. Sie standen still ein Stück abseits des mit Kränzen überladenen Erdhügels. Die Frau hatte den Arm um den Jungen gelegt, der jetzt, wo er sich offenbar sicherer fühlte ohne die schwarze Menschenmasse, die ihrem Vater die letzte Ehre erwiesen hatte, bitterlich weinte.
    Lillys Mutter zögerte einen Augenblick, dann straffte sie die Schultern und ging direkt auf die Frau zu. Die beiden standen einander einfach nur gegenüber und sahen sich an. Eine kleine Ewigkeit. Lilly spürte plötzlich, wie ein hysterisches Kichern in ihr hochstieg, und unterdrückte es. Die Szene erinnerte sie an die beiden Cowboys in dem Film Spiel mir das Lied vom Tod . Dann löste sich das Kampfbild auf, und die beiden

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