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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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Blick hatte.
    Am Abend kam Johanna mit Johnny und Tilly. Es gab Spaghetti mit Tomatensoße, glücklich spielende Kinder und banale Frauengespräche. Kein Wort von morgen. Der Feind hörte mit. Beim Abschied wechselten die Meerschweinchen, in Handtücher gewickelt, ihre Besitzer. Vor der Tür, im Treppenhaus. Hier gab es vermutlich keine Wanzen.
    Johanna gab ihren Kindern Anweisungen: „So, und jetzt müsst ihr sie ganz nah an euren Körper legen und die Sportjacke darüber anziehen, sie haben Angst, seht, wie sie zittern …“ Lilly hatte einen zweiten Käfig gekauft, den Johanna am Morgen aus der Tierhandlung gemeinsam mit der Streu und dem Futter für vierzehn Tage abgeholt hatte.
    In der Nacht schlief Lilly kaum. Sie spürte das flaue Gefühl im Magen als Vorbote für das, was sie am nächsten Tag bewältigen musste. Es war schon so oft gut gegangen, aber sie wusste auch, dass das Risiko jedes Mal größer wurde. Die Planung für diese Reise machte einem Roman von Agatha Christie alle Ehre. Aber was dann? Wie lange konnte sie es noch durchhalten, Wien auf immer andere Weise zu verlassen? Wie lange konnten ihre Kinder dieses Versteckspiel noch aushalten?
    11. Juli 1988
    Zwölf Uhr – die Aktion beginnt. Ich bin schrecklich nervös. Ich schreie Niklas an, der plötzlich nicht mehr wegfahren will und sich weigert, seine Schuhe anzuziehen.
    Mit der kranken Lea auf dem Arm verlassen wir das Haus. Niklas kennt seine Rolle. Er geht brav neben mir und hat seine kleine Pausenbrottasche in der Hand. Ich spüre, dass meine Bewacher mich beobachten, kann aber nichts Verdächtiges ent­decken. Das Taxi wartet schon. Der Fahrer ist dick und schaut mich misstrauisch an, als wir einsteigen. Ich merke, dass ich ­innerlich zu zittern beginne, und versuche, mich zu beruhigen. Er kann nichts wissen, vielleicht mag er einfach Mütter mit kranken Kindern nicht, sie könnten ihm das Auto vollkotzen. Ich höre den Klang meiner eigenen Stimme. Er ist in Ordnung. Ich schaffte es, mütterlich besorgt die Adresse zu nennen: Allgemeines Krankenhaus, Spitalsgasse, Tor 4.
    Ich passe genau auf, niemand folgt uns. Aber das hat nichts
zu sagen, es genügt, per Funk den anderen Kollegen die Taxinummer zu nennen. Kurz vor dem Krankenhaus fährt ein ­weißer Mercedes hinter uns, der sich dann auch prompt zum Linksabbiegen hinter uns einreiht. Verfolgt er uns oder ist es ein Zufall?
    Wir werden sofort durchgelassen, Taxis haben eine automa­tische Einfahrerlaubnis. Der Mercedesfahrer wird aufgehalten, ich sehe im Rückspiegel, dass er Auskunft geben muss.
    Jetzt kommt eine Szene, die ich zu Hause schon geübt habe. Ich krame hektisch in meiner Handtasche und schreie dann hysterisch: „Scheiße! Nein, nicht auch das noch!“ Der Taxifahrer sagt nichts und mustert mich. Ich höre ihn denken: „Hysterisches Weib, typisch.“ Ich murmle etwas von „Überweisung vom Hausarzt vergessen“ und bitte ihn dann mit ruhiger Stimme, beim nächsten Ausgang wieder aus dem Krankenhaus hinauszufahren. Ich nenne die neue Adresse: Skodagasse 9. Ich drehe mich um, der weiße Mercedes hat unsere Spur verloren. Wien im Verkehrskollaps. Eine Baustelle macht ein Durchkommen fast unmöglich. Straßenbahnen und Autos versperren sich gegenseitig den Weg, das Taxi kommt viel zu langsam voran. Ralf wird schon warten und sich Sorgen machen.
    Die Kinder schweigen. Sie schweigen immer bei solchen Gelegenheiten. Wer schweigt, kann sich nicht verplappern. Ich zahle rasch, als wir endlich angekommen sind, und kann nicht verhindern, dass meine Hände zittern. Ich sage „stimmt schon“ und lasse viel zu viel Geld zurück, jede Sekunde zählt.
    Ich kenne meine Schritte im Schlaf, ich habe sie mir tausendmal überlegt. Der automatische Türöffner gibt ein beruhigendes Summen von sich, er gehört zu einer Zahnarztpraxis. Das Stiegenhaus ist altmodisch und düster und führt in einen Hinterhof.
    Wir rennen durch den Hof, Lea nur im Pyjama, die Decke um sich gewickelt, ich reiße die Tür auf der Rückseite des gegenüberliegenden Hauses auf und bete: „Lieber Gott, lass ihn bitte da sein.“ Im Treppenhaus steht eine alte Frau bei den Postkästen und schüttelt missbilligend den Kopf, als sie Lea im Schlafanzug sieht. Wir rennen an ihr vorbei auf den Vorderausgang zu, und ich höre noch, wie sie mir nachruft: „Sie

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