Lily und der Major
antwortete Caleb nur und
lächelte auf eine Art, die Lily nicht zu deuten wußte.
Ein leises
Unbehagen erfaßte sie. »Haben Sie es selbst geschneidert, Lily?«
Sandras Frage überraschte sie. Sie war bisher der
Meinung gewesen, es müsse sich um ein altes Kleid von Sandra handeln. »Nein«,
antwortete sie. »Ich habe es geschenkt bekommen.« Sandra zuckte plötzlich
zusammen, als habe sie einen Fußtritt unter dem Tisch erhalten, und warf Caleb
einen ärgerlichen Blick zu.
Als die
Suppe ausgeteilt war und der Colonel etwas davon gegessen hatte, wandte er sich an
Lily. »Wie fühlt unser schöner Gast sich heute abend?«
Bevor Lily etwas erwidern konnte,
ergriff ihre Gastgeberin das Wort. »Lily hat mir von ihrem Besuch in Suds Row
erzählt«, bemerkte sie. »Dieser Ort ist eine Schande und sollte verboten
werden, John!«
Der Colonel maß seine Frau mit einem
scharfen Blick. »Suds Row ist wohl kaum ein geeignetes Dinnerthema.«
Mrs. Tibbet verstummte, und Lily war
erstaunt. Sie hätte ihre Gastgeberin nicht als Frau eingeschätzt, die so
schnell einzuschüchtern war.
»Trotzdem bin ich der Meinung ...«
begann Lily, brach jedoch ab, als sie Calebs Schenkel an ihrem spürte. Sie war
jetzt sicher, daß er auch Sandra unter dem Tisch angestoßen hatte, als sie von
Lilys Kleid anfing.
»Lily will eine Wäscherei eröffnen«,
sagte Caleb schmunzelnd.
Mrs. Tibbet verschluckte sich an
ihrer Suppe und drückte eine Serviette an ihre Lippen.
»Natürlich eine anständige Wäscherei«,
fügte der Major hinzu, aber der Blick, den er Lily zuwarf, besagte: Begreifst
du nun, wie verrückt deine Idee ist?
Doch falls er glaubte, Lily damit
entmutigen zu können, hatte er sich getäuscht. »Ich bin sicher, daß es irgendwo
im Fort ein kleines Haus gibt, das ich mieten könnte«, meinte sie unbeeindruckt.
Mrs. Tibbet
fächelte sich Luft mit ihrer Serviette zu. »So etwas gibt es nicht«, knurrte
der Colonel.
»Das ehemalige Schulmeisterhaus ist
frei«, warf Lieutenant Costner hilfreich ein und erntete dafür von allen außer
Lily und Sandra einen empörten Blick.
Er senkte
bestürzt den Kopf und starrte in seine Suppe. »Danke, Lieutenant«, bemerkte
Caleb kühl. »Ich werde daran denken.«
6
Für diese eine Nacht verdrängte Lily all ihre Zweifel und Vorbehalte
in bezug auf den Major. Was sie anging, war der Buggy, der vor dem Haus
vorfuhr, eine gläserne Kutsche, und Caleb war ein Prinz. Lily kam sich wirklich
sehr majestätisch vor, als Caleb ihr in den kleinen zweisitzigen Wagen half.
Hinter ihnen bestiegen Sandra und
ihr Lieutenant einen zweiten Buggy; ihre erwartungsvolle Stimmung und ihr
Lachen trugen sehr zu der festlichen Atmosphäre dieser warmen Aprilnacht bei.
Caleb war auf dem Bürgersteig
zurückgeblieben und schaute mit leuchtenden Augen zu Lily auf. Seine tiefe
Stimme klang ungewöhnlich heiser, als er Lilys Namen aussprach.
»Ja?«
Doch Caleb schüttelte nur den Kopf
und kletterte dann neben Lily auf den Buggy. Es war sehr eng in der kleinen
Kutsche, sie saßen fast unanständig dicht beisammen. Durch ihr Kleid konnte
Lily Calebs muskulösen Oberschenkel spüren.
Als sie ein Stück zur Seite rückte,
lächelte Caleb. »Sitzt du unbequem?« erkundigte er sich belustigt.
Lily
schluckte. Sie hatte nie bequemer gesessen und wünschte, das Gefühl möge
für den Rest ihres Lebens anhalten. »Nein.«
Er lachte
und ließ das Pferd antraben.
Der Ball fand im Kasino statt. Das
Gelächter, die Musik und das goldene Licht, das aus den Türen drang, übten
einen unwiderstehlichen Reiz auf Lily aus, aber andererseits wäre sie auch
sehr gern mit Caleb in dieser kleinen, geschützten Kutsche geblieben ..
Doch nun hielt er den Wagen an,
stieg aus und hob Lily von ihrem Sitz. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals bei
dem Kontakt mit ihm, und als er sie absetzte und ihre Brüste seinen Oberkörper
streiften, wurde Lily von einem sehnsüchtigem Erschauern erfaßt. »Wirst du mit
mir tanzen?« flüsterte sie erwartungsvoll. »Als erster?«
Caleb berührte ihre Wange, und zum
ersten Mal lag kein Spott in seinem Lächeln. Es war fast wie ein Streicheln,
sehr vertraut und sehr intim. »Ja, ich will der erste bei dir sein«, entgegnete
er. »Das kannst du mir glauben, Lily.«
Bevor ihr eine passende Antwort
einfiel, waren sie von eifrigen jungen Soldaten umringt, die Lilys
Bekanntschaft machen wollten. Es sah ganz so aus, als seien nicht nur
Offiziere zu dem Ball geladen. Ein Muskel zuckte an Calebs Wange. Als er
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