Lily und der Major
zu fragen, denn sie glaubte sie schon zu kennen. »Ich hatte gehofft,
ein Bad nehmen zu können, bevor ich mich für den Ball umkleide«, meinte sie.
»Auf dieser Etage finden Sie ein
Badezimmer«, erwiderte Sandra. »Es müßte auch Wasser im Tank sein.« Sie ging
hinaus und kehrte kurz darauf mit einem
Morgenrock zurück. »Hier, ziehen Sie das über«, sagte sie und reichte Lily das
hübsche Kleidungsstück aus rosafarbenem Satin.
Lily zog es an und folgte Sandra aus
dem Raum. Sie führte sie in ein Badezimmer und zündete ein Streichholz an, das
sie an den Docht unter einem riesigen schwarzen Tank hielt.
»Sehr heiß wird das Wasser nicht
sein«, warnte sie, als sie den Hahn aufdrehte und Wasser in die große Badewanne
mit den Klauenfüßen lief.
Während Lily diese moderne
Errungenschaft noch staunend betrachtete, reichte Sandra ihr ein flauschiges
weißes Handtuch und ein duftendes Stück Seife.
»Hier«, sagte sie gutmütig. »Und
beeilen Sie sich. Tantchen wird mit dem Dinner warten, bis alle versammelt
sind, und ich sterbe fast vor Hunger.«
Nachdem Lily die Tür
verriegelt hatte, zog sie den geborgten Morgenmantel aus und steckte prüfend
einen Zeh ins Wasser. Es war lauwarm, aber erträglich.
Nicht lange danach kehrte sie in ihr
Gästezimmer zurück, zog das lavendelfarbene Ballkleid an und trat prüfend vor
den Spiegel.
Unter dem Ausschnitt schaute ihr
Kamisol hervor. Jeder Versuch, es hineinzustopfen oder den Ausschnitt höher
hinaufzuziehen, war vergeblich.
Lily zog das störende Unterkleid
kurzentschlossen aus und streifte das Abendkleid über ihre nackte Haut. Dabei
kam sie sich ungeheuer frei und wagemutig vor.
Als sie sich frisierte und ihr Haar
aufsteckte, kam Sandra, um sie abzuholen.
»O Lily!« rief das Mädchen entzückt.
»Sie sehen phantastisch
aus!«
Lily
hoffte, daß es auch stimmte. »Danke«, erwiderte sie schüchtern.
Sandra nahm ihre Hand und zog sie
auf den Korridor. »Kommen Sie, schnell! Es gibt gebackenes Hühnchen zum
Dinner!«
Da Lily nun auch sehr hungrig war,
folgte sie Sandra gern. Lachend und plaudernd wie zwei gute Freundinnen
betraten sie das große Speisezimmer.
Caleb und der Colonel standen am
Fenster, jeder ein Glas Brandy in der Hand. Als Caleb Lily sah, stellte er sein
Glas auf einen Tisch, ging auf Lily zu und zog ihre Hand an seine Lippen. Lily
war mächtig beeindruckt, wie attraktiv er war in seiner maßgeschneiderten
Galauniform.
Sein Anblick und der Kontakt mit
seinem warmen Mund auf ihrer Hand lösten ein leichtes Schwindelgefühl in ihr
aus, und für einen Augenblick befürchtete sie, sich hinsetzen zu müssen.
Calebs bernsteinfarbene Augen
lachten sie an, es lag sogar eine gewisse Zuneigung in seinem Blick. Bevor er
ihre Hand freigab, hauchte er noch einen Kuß darauf und lächelte befriedigt,
als ein leises Erschauern durch Lilys Körper ging.
Sie wandte sich so rasch ab, daß ihr
Fuß sich beinahe im Saum des bodenlangen Abendkleids verfangen hätte. Es war
nur Calebs schneller Reaktion zu verdanken, daß sie nicht stürzte und recht
unsanft auf dem Boden landete.
Beschämt straffte Lily die Schultern
und ging auf Mrs. Tibbet zu, die sie mit aufrichtiger Zuneigung betrachtete.
»Sie sehen bezaubernd aus, Lily«, sagte sie anerkennend.
»Danke – nicht nur für das
Kompliment, sondern auch für das Kleid, das Sie mir nach Tylerville geschickt
haben.«
»Das
Kleid?« entgegnete Mrs. Tibbet verblüfft, doch dann sah sie Calebs Blick und
fügte rasch hinzu: »O ja, natürlich. Keine Ursache, meine Liebe.«
In diesem Augenblick erklang
Stimmengewirr in der Halle, und Sandra kam am Arm eines gutaussehenden Mannes
in Leutnantsuniform herein.
Er warf dem Colonel einen etwas
unbehaglichen Blick zu und schien auch von Calebs Anwesenheit nicht begeistert.
Nur Lily grüßte er mit einem Lächeln.
»Das ist Lieutenant Costner, Lily«,
sagte Sandra. »Robert, ich möchte dir Miss Lily Chalmers vorstellen.«
Lieutenant Costners
Lächeln verblaßte unter Calebs Blick. »Hallo, Miss Chalmers«, sagte er leise.
»Lieutenant«, erwiderte Lily seinen Gruß.
»Schluß mit diesem Unsinn!« donnerte
der Colonel, worauf alle erschrocken zusammenfuhren. »Es wird Zeit, daß wir
etwas essen. Setzt euch endlich!«
Caleb setzte sich neben Lily, der
Colonel nahm am Kopfende des Tisches Platz.
»Sieht Lily nicht ganz entzückend
aus in diesem Kleid?« wandte Sandra sich an Caleb, als ihre Tante den Deckel
von der Terrine nahm und die Suppe austeilte.
»Ja«,
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