Lily und der Major
Heim verlassen und sich zur
Kavallerie gemeldet, überzeugt – obwohl er kaum eine Gewehrmündung vom Kolben
unterscheiden konnte – mit seinem Einsatz die Union vor der drohenden Auflösung
bewahren zu können.
Doch er hatte sehr schnell
eingesehen, daß ein Krieg kein Kinderspiel war, und sich so manche Nacht
ruhelos in seinem Schlafsack gewälzt und nach Hause zurückgewünscht. Und sich
dabei gefragt, ob Joss, sein älterer Bruder, nicht auch irgendwo auf einem
Fleckchen Erde liegen mochte und sich vielleicht das gleiche wünschte.
Calebs Gedanken kehrten zu jenem Tag
zurück, an dem sich sein Verhältnis zu seinem älteren Bruder grundlegend
geändert hatte ...
»Das darfst du nicht!« hatte
Susannah geschluchzt, Joss' hübsche junge Frau, und sich an ihn geklammert.
»Caleb, Abbie und ich, wir brauchen dich! Ich lasse dich nicht gehen.«
Caleb hatte betroffen beobachtet,
wie Joss Susannahs Hände von sich löste und dann seiner Frau einen Kuß aufs
Haar drückte. »Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie es geschieht«, sagte er
schroff.
»Es ist nicht dein Krieg«,
hatte Susannah verzweifelt eingewandt. »Wir sind in Pennsylvania ... Wir
gehören zum Norden ...«
Joss' Blick glitt zu Calebs reglosem
Gesicht. Sie hatten Vettern in Virginia, und Joss stand auf ihrer und des
Südens Seite. »Recht ist Recht«, sagte er nun. »Ein Mensch sollte wählen können,
wie er leben will – ohne Einmischung von seiten der Regierung ...«
»Wenn du kämpfst, Joss, wird es
gegen deine Freunde und deine Familie sein. Und gegen mich«, unterbrach Caleb
seinen Bruder ernst. In diesem Augenblick war ihm noch nicht bewußt, daß es
sich um eine Prophezeiung handelte, unter deren Erfüllung er später viele Jahre
leiden würde.
Joss löste sich von seiner weinenden
Frau, und von seinem Gesicht war deutlich abzulesen, wie aufgewühlt er war. »Du
bist erst sechzehn Jahre alt«, entgegnete er rauh. »Du hast nichts mit diesem
Krieg zu tun – weder auf der einen Seite, noch auf der anderen.«
»Ich werde auf dieser Seite
kämpfen«, versetzte Caleb ruhig. »Ich trete in die Armee der Bundesstaaten
ein.«
Joss packte seinen Bruder an den
Hemdaufschlägen. »Du wirst hierbleiben!« fuhr er ihn an.
Caleb schluckte. Joss war größer und
stärker als er, und er war seit fünf Jahren das Oberhaupt ihrer Familie. Aber
das bedeutete noch lange nicht, daß er deshalb auch der einzige war, der Prinzipien hatte und das
Recht auf eine politische Einstellung. »Ich werde kämpfen«, sagte Caleb
störrisch.
Joss hob die Hand, um ihn zu
schlagen, aber dann erschien eine überwältigende Trauer in seinem Blick, und er
stieß seinen Bruder von sich und stürmte aus dem Haus.
Später in dieser Nacht packte Caleb
Proviant in seine Satteltaschen und ritt in die Dunkelheit hinaus.
Es vergingen viele Monate, bis er
und Joss sich wiedertrafen.
Die Erinnerung an diese Begegnung
war so bedrückend, daß Caleb es vorzog, nicht darüber nachzudenken und seine
Gedanken lieber auf eine andere Begebenheit des Krieges richtete.
Bei Gettysburg war er verwundet
worden, aber es war nicht sein Körper gewesen, der Schaden erlitten hatte,
sondern seine Seele. Jeder einzelne Rebell, den Calebs Kugeln getroffen hatten
oder den sein Bajonett durchbohrte, hatte Joss' Gesicht, und jene drei ersten
Julitage 1863 hatten Caleb innerlich erstarren lassen. Später hatte er Lees
Kapitulation in Appomatox miterlebt.
Das Leben eines Soldaten war von
Einsamkeit und Frustration geprägt. Es hatte Momente gegeben, in denen Caleb
befürchtet hatte, verrückt zu werden, wenn er auch nur eine einzige weitere
Gruppe von neuen Soldaten befehligen mußte.
Aber nun war Lily da. Mit ihr war
alles anders geworden.
Sobald er sie zu seiner Denkweise
bekehrt hatte und sie sicher in einem passenden Haus untergebracht war, wollte
Caleb nach Pennsylvania fahren und versuchen, die Dinge dort ins Lot zu
bringen.
Vielleicht würde er dann sogar
seinen Abschied von der Armee nehmen und sich seinen eigenen Platz in diesem
Leben schaffen.
Lily war am nächsten Morgen schon lange vor acht Uhr auf. »Ich
würde gern das kleine Haus mieten, von dem Lieutenant Costner sprach«, bemerkte
sie, als sie mit Colonel Tibbet und seiner Frau beim Frühstück saß.
Ihr Gastgeber wechselte einen Blick
mit seiner Frau. »Um eine Wäscherei zu eröffnen, vermute ich.«
Lily nickte.
»Hören Sie, meine Liebe«, wandte
Mrs. Tibbet ein, »falls Sie Arbeit brauchen, könnte ich Sie als
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