Lily und der Major
hatte – nicht einmal Rupert, ihrem
Bruder.
»Die Sommers wollten mich als
Spielgefährtin ihrer Tochter lsadora haben. Sie war der Sonnenschein ihres
Lebens, schön wie eine Märchenprinzessin«, erzählte sie leise.
»War sie unfreundlich zu dir?«
Lily zuckte die Schultern.
»Manchmal, aber Isadora war zu oberflächlich, um wirklich boshaft zu sein. Doch
ich war nur eine Puppe für sie, kein Mensch.«
Calebs Schweigen ermutigte Lily
fortzufahren.
»Als wir zehn waren und Isadora an
Diphterie starb, wurden Charles und Bethesda – der Reverend und Mrs. Sommers –
sehr zornig auf Gott. Sie konnten einfach nicht fassen, daß Er ihnen ihre geliebte Tochter genommen
und mich zurückgelassen hatte, um ihnen zur Last zu fallen. Natürlich
behandelten sie mich dementsprechend.«
Caleb verstärkte seinen Druck um
ihre Hand.
»Wenn Rupert nicht gewesen wäre,
hätte ich das Leben bei ihnen nicht ertragen. Als er von zu Hause fortging,
nahm er mich mit, und ich führte ihm den Haushalt, bis ich nach Tylerville
durchbrannte und meinen Anspruch auf das Land anmeldete.«
»Seitdem hast du die Sommers nicht
wiedergesehen?«
Lily schüttelte den Kopf. »Sie sind
beide tot.«
»Wie lange versuchst du schon, deine
Schwestern zu finden?«
»Seit ich schreiben gelernt habe.« Lily seufzte. »Aber
ich habe auf keinen meiner Briefe eine Antwort erhalten.«
Caleb hob ihre Hand an seine Lippen.
»Hast du schon einmal daran gedacht, einen Privatdetektiv einzuschalten?«
Lily nickte. »Ich habe vor, jemanden
von Pinkerton mit der Suche zu beauftragen, selbst wenn ich noch ein Jahr
warten müßte, um mein Haus zu bauen.«
»Ich werde die Nachforschungen
bezahlen, Lily.«
Sie schaute ihn verwundert an. »Ich
möchte dir nicht verpflichtet sein.«
»Das wärst du nicht.«
Lily schüttelte den Kopf. »Danke für
das Angebot, Caleb, aber das wäre nicht korrekt.«
»Und gestern abend? War das
korrekt?«
Lily errötete. »Soll das heißen, daß
du mich dafür bezahlen willst?«
Caleb lächelte. »Natürlich nicht.
Damit würde ich dich auf die Stufe einer ... einer Wäscherin stellen.«
Ein weiterer Stich, der ihre
Zukunftspläne betraf, aber Lily war entschlossen, nicht darauf einzugehen. Sie
schwieg, und als sich ein kalter Wind erhob, nahm Caleb seinen Uniformrock und
hängte ihn Lily über ihre Schultern.
»Danke«, sagte sie widerstrebend.
Caleb lachte. »Ich werde ein ganzes
Leben brauchen«, murmelte er dann.
Lily schaute ihn neugierig an. »Wie
bitte?«
»Ach, nichts«, erwiderte er.
Fünfzehn Minuten später begann es zu
regnen, und Caleb lenkte den Buggy in ein Pinienwäldchen, um dort das Unwetter
abzuwarten. »Es ist nur ein Wolkenbruch«, sagte er, als er ausstieg und seine
langen Beine streckte.
Das Pferd wieherte erfreut und
begann an dem frischen grünen Gras zu knabbern.
Lily verschränkte die Arme unter
Calebs Rock. Sie hatte es zu eilig, um hier herumzustehen. Und wenn nun auch
noch ein Gewitter aufkam ...?
Da zuckte schon ein Blitz am Himmel
auf, und Lily stürzte aus dem Buggy und in Calebs Arme.
Er hielt sie einen Moment so fest an
sich gepreßt, daß sie jeden Zentimeter seines Körpers spürte, dann ließ er sie
los, und Lily trat einen Schritt zurück.
»Hast du Angst vor mir, Lily?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich
glaube nicht, daß du imstande wärst, mir weh zu tun, oder daß du mich zu etwas
zwingen würdest, was ich nicht will.«
Er spreizte die Hände. »Warum
weichst du mir dann aus?«
»Weil ich Angst vor der Macht habe,
die du über mich besitzt«, erwiderte sie ehrlich. »Manchmal habe ich den Eindruck,
daß du mich dazu bringen könntest, alles mögliche zu tun.«
»Bist du nie auf die Idee gekommen,
daß du die gleiche Art von Macht über mich besitzen könntest?«
Lily schüttelte den Kopf. »Ich weiß,
daß es nicht so ist.« Ganz unvermittelt begann sie zu weinen. »Jede Frau könnte
tun, was ich gestern nacht getan habe.«
Caleb kam zu ihr und zog sie in die
Arme. »Das ist nicht wahr, Lily.«
Sie legte ihr Gesicht an seine
Schulter. »Doch!«
Er streichelte über ihr Haar und hob
sanft ihr Kinn zu sich empor. Sie schloß die Augen, und er küßte ihre Lider.
»Lily, hör mir bitte zu. Ich empfinde Gefühle für dich, wie ich sie noch nie
für einen anderen Menschen empfunden habe.«
Zögernd hob sie die Hände und legte
sie auf seine Schultern. »Aber warum, Caleb? Warum ausgerechnet ich?«
Er küßte sie auf den Mund. »Weil du
schön bist – und stark
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