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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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videoüberwacht«, sagte er, um einen warnenden Unterton bemüht, der mittendrin ins Panische kippte.
    »Sie haben recht«, nickte Xin. »Ich sollte mich beeilen.«
    Grand Cherokees Magen krampfte sich zusammen. Er vollführte einen Sprung nach hinten und versuchte die Lage einzuschätzen. Sein Gegner stand zwischen ihm und dem Durchgang zum Glaskorridor. Kein Weg führte an ihm vorbei, und gleich hinter Grand Cherokee erstreckte sich die Kante der Plattform, jenseits der die Bahn in ihren Schienen ruhte. Der Bereich, in dem die Fahrgäste zu- oder ausstiegen, war zum Abgrund hin durch eine transparente Wand geschützt, rechts und links davon schwang sich das Gleis ins Leere.
    Xins Blick ließ keine Missverständnisse aufkommen.
    Mit einem Satz war Grand Cherokee auf dem mittleren Waggon. Sein Blick wanderte zum Kopf des Drachen. Die einzelnen Wagen waren nichts weiter als Plattformen mit aufmontierten Sitzen, deren Lehnen an gewaltige Schuppen oder Flügel erinnerten, was dem Gefährt entfernt das Aussehen eines silbernen Reptils gab. Nur ganz vorne gab es so etwas wie einen Aufbau, die Andeutung eines lang gezogenen Schädels. Dort war eine separate Steuereinheit untergebracht, mit der man den Zug zur Not ein Stück manövrieren konnte. Nicht gerade durch den Looping, aber die geraden Gleisabschnitte entlang.
    Wo die Bahn die Seitenpfeiler des Gebäudes umlief, unmittelbar bevor sie sich hochschraubte, führte je ein Übergang vom Gleis ins Gebäude. Im Innern der Pfeiler waren technische Anlagen und Lagerräume untergebracht. Die stählernen Brücken mündeten in den Glasfronten der Pfeiler und dienten im Bedarfsfall der Evakuierung, falls etwas den Zug daran hinderte, in den Bahnhof einzufahren. Man gelangte in ein separates Treppenhaus und zu einem Lift, beide vom Glaskorridor nicht zu erreichen.
    All dies rekapitulierte Grand Cherokee, während er in Lauerstellung verharrte, womit er seinen zweiten Fehler beging, weil er Zeit verlor, anstatt umgehend zu handeln. Xin federte ab und kam zwischen ihm und dem Drachenkopf zu stehen. Nur zwei Sitzreihen trennten die beiden voneinander, und Grand Cherokee begriff, dass seine Chance, die Steuereinheit zu erreichen, vertan war. Er erwog, zurück auf den Bahnsteig zu springen, doch es war offensichtlich, dass Xin ihm dann sofort im Nacken säße. Wahrscheinlich würde er es nicht einmal bis zur Schranke schaffen.
    Xin kam näher. Er hangelte sich zwischen den Sitzreihen hindurch, so schnell, dass Grand Cherokee das Nachdenken einstellte und ans Ende des Zuges floh. Ein kurzes Stück weiter endete die Verglasung des Bahnhofs. Dort strebte das Gleis weg von der Gebäudefront, schwang sich ein gutes Stück hinaus und beschrieb nach rund 25 Metern die Kurve, die hinter den Pfeiler führte.
    »Ganz dumme Idee«, sagte Xin im Näherkommen.
    Grand Cherokee starrte hinaus auf das Gleis, dann wieder auf Xin. Er hatte längst begriffen, dass er zu weit gegangen war, und dass der Typ vorhatte, ihn umzubringen. Verdammte Yoyo! Dämliches Aas, ihm das hier einzubrocken.
    Falsch, konstatierte der abgespaltene Grand Cherokee, selber dämlich. Schon mal auf die Idee gekommen, durch die bloße Luft zu kriechen? Und als das Großmaul die Antwort schuldig blieb, fügte die distanzierte Stimme hinzu: Du hast einen gewaltigen Vorteil. Du bist schwindelfrei.
    Xin auch?
    Mit der Gewissheit, dass ihm große Höhen nichts ausmachten, wich schlagartig die Lähmung aus Grand Cherokees Gliedern. Zu allem entschlossen, setzte er einen Fuß auf das Gleis, tat einen Schritt, noch einen. Einen halben Kilometer unter sich sah er den begrünten Vorplatz des World Financial Center, durchzogen von Gehwegen. Über die doppelstöckige Shiji Dadao, die vom Fluss ins Hinterland von Pudong führte, bewegten sich Autos wie Ameisen. Die Sonne brannte durch die gewaltige Öffnung des Turms auf ihn herab, als er die schützende Verglasung des Bahnhofs verließ und Meter für Meter dem Gleisverlauf folgte. Warme Böen zerrten an ihm. Zu seiner Linken entfernte sich die Glasfassade des Turms mit jedem Schritt, genauer gesagt er sich von ihr. Rechts konnte er auf das Dach des Jin Mao Towers blicken. Dahinter und um ihn herum gruppierten sich die Geschäftshäuser Pudongs, bog sich das schimmernde Band des Huangpu, breitete sich Shanghai über die Grenze des Vorstellbaren hinweg aus.
    Mit wild klopfendem Herzen hielt er inne und wandte den Kopf. Xin stand am Ende des Zugs und starrte ihn an.
    Er folgte ihm nicht.
    Der

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