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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Ich war überzeugt, sein Motorrad hätte einen höheren IQ als er.«
    »Das denken viele«, versetzte Tu. »Manche halten mich auch für einen übergewichtigen, alten Penner, der keinen Optiker kennt und Dreck aus der Dose frisst. Glaubst du im Ernst, Yoyo ist dir entwischt, weil der große Bär so dämlich wäre? Er hat dich in die Hölle geschickt, und du bist brav hingefahren.«
    Jericho musste zugeben, dass das stimmte.
    »Jedenfalls weißt du nun, warum ich meine Kontakte nicht strapazieren will«, sagte er. »Die Polizei würde sich einigermaßen wundern. Inzwischen dürften sie wissen, dass Wang Yoyos Wohngenosse war. Sie werden Nachforschungen anstellen und herausfinden, dass ich das Mädchen suche. Dann machen sie ihre Gleichung auf: Ein toter, womöglich ermordeter Student, eine vorbestrafte Regimekritikerin, ein Detektiv, der nach dem einen fragt und der anderen auf den Fersen ist. Die sollen keine Querverbindungen herstellen, Tian, ich will unauffällig ermitteln. Am Ende bringe ich sie noch auf die Idee, sich näher mit Yoyo zu beschäftigen.«
    »Verstehe.« Tus Finger glitten über die Tischplatte, und die gegenüberliegende Wand verwandelte sich in einen Bildschirm. »Dann schau dir das mal an.«
    Aus der Perspektive von zwei Überwachungskameras sah man den Glaskorridor mit dem Zugang zum Achterbahnhof.
    »Wie bist du so schnell an die Aufnahmen gekommen?«, wunderte sich Jericho.
    »Dein Wunsch war mir Befehl.« Tu kicherte. »Die Polizei hatte ein elektronisches Siegel vorgeschaltet, aber so was stellt für uns kein Problem dar. Unser eigenes Überwachungsnetz ist an das hausinterne gekoppelt, außerdem haben wir uns schon in ganz andere Systeme gehackt. Schwierigkeiten hätte es nur gegeben, wenn sie eine Hochsicherheitssperre eingezogen hätten.«
    Jericho überlegte. Elektronische Versiegelungen waren üblich. Dass die ermittelnden Behörden darauf verzichteten, verriet einiges darüber, wie sie den Fall einstuften. Ein weiteres Indiz, dass die Polizei Yoyo gar nicht auf dem Schirm hatte.
    Im Glaskorridor erschienen zwei Männer. Der kleinere, der voranging, trug langes Haar, modische Kleidung und Applikationen auf Stirn und Wangenknochen. Eindeutig Grand Cherokee Wang. Ihm folgte ein hochgewachsener, schlanker Mann in einem gut geschnittenen Anzug. Mit seinem ölig zurückgekämmten Haar, dem schmalen Schnurrbart und der getönten Brille hatte er etwas Dandyhaftes. Jericho sah an den Drehungen seines Kopfes, dass er im Gehen den kompletten Gang scannte und sein Blick für Sekundenbruchteile auf den Kameras ruhte.
    »Schlaues Kerlchen«, murmelte er.
    Die beiden gingen bis zur Korridormitte und verschwanden aus dem Blickwinkel der einen Kamera. Die andere zeigte, wie sie gemeinsam den Glaskasten mit dem Kontrollpult betraten.
    »Sie unterhalten sich.« Tu schaltete auf schnellen Vorlauf. »Es geschieht nichts Aufregendes.«
    Jericho sah zu, wie Grand Cherokee im Zeitraffer gestikulierte und dem anderen offenbar die Funktionsweise des Kontrollpults erklärte. Dann schien sich ein Gespräch zu entwickeln.
    »Jetzt pass auf«, sagte Tu.
    Der Film lief wieder in Originalgeschwindigkeit. Unverändert standen die Männer beisammen. Grand Cherokee machte einen Schritt auf den Hochgewachsenen zu, der seinerseits den Arm ausstreckte.
    Im nächsten Moment knickte der Student ein, schlug mit dem Gesicht auf die Konsolenkante und stürzte zu Boden. Sein Gegenüber packte zu und stellte ihn wieder auf die Beine. Grand Cherokee taumelte. Der Fremde hielt ihn fest. Bei flüchtiger Betrachtung musste es so aussehen, als stütze er einen Freund, der einen plötzlichen Schwächeanfall erlitten hatte. Einige Sekunden vergingen, dann fiel Grand Cherokee erneut auf die Knie. Der Große ging neben ihm in die Hocke und redete auf ihn ein. Grand Cherokee krümmte sich, rappelte sich hoch. Nach einer Weile verließ der hochgewachsene Mann den Kontrollraum, allerdings nur, um innezuhalten und zurückzukehren. Erstmals seit Betreten des Korridors wandte er der Kamera wieder sein Gesicht zu.
    »Stop«, sagte Jericho. »Kannst du ihn vergrößern?«
    »Kein Problem.« Tu zoomte Oberkörper und Gesicht heran, bis sie den Bildschirm ausfüllten. Jericho kniff die Augen zusammen. Der Mann sah aus wie Ryuichi Sakamoto als japanischer Besatzer in Bertoluccis Der letzte Kaiser.
    »Erinnert er dich an jemanden?«, fragte Tu.
    Jericho zögerte. Die Ähnlichkeit mit dem japanischen Schauspieler und Komponisten war frappierend.

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