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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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das sie nicht auch auf der Erde hätten klären können? Oder ging es um andere, die er dort hätte treffen sollen?
    Sie brauchte die Liste der Teilnehmer.
    Ihre Augen brannten. Palstein hatte nicht zum Mond fliegen sollen. Der Gedanke haftete. Setzte sich in wirren Träumen fort, wie der Schlaf in Bürostühlen sie mit sich bringt, erzeugte in ihrem bedenklich abgeknickten Schädel Visionen von Menschen in Raumanzügen, die aus Designerhäusern aufeinander feuerten, und sie mittendrin.
    »Hey, Loreena.«
    »Auf dem Mond ist Mies van der Rohe sehr beliebt«, murmelte sie.
    »Wer ist mies?« Jemand lachte. Sie hatte Blödsinn erzählt. Blinzelnd und mit steifen Gliedern kam sie zu sich. Der Praktikant lehnte an der Schreibtischkante und sah so zufrieden aus wie Kater Sylvester, nachdem er Tweety verspeist hatte.
    »Mist«, murmelte sie. »Ich bin eingeschlafen.«
    »Ja, du hängst da wie hingeschlachtet. Fehlt nur der Messergriff, der aus deiner Brust ragt. Komm zu dir, Pocahontas, geh dir mit 'ner Tasse Kaffee durchs Gesicht. Wir haben was! Ich glaube, wir haben wirklich was!«
     

28. MAI 2025
    [FEINDBERÜHRUNG]
    QUYU, SHANGHAI, CHINA
     
    Gegen ein Uhr hatte Jericho sein viertes Telefonat mit Zhao geführt, der gerade eine Massenkeilerei beobachtete und ihm versicherte, sich prächtig zu amüsieren.
    Netz-Junkies kamen und gingen. Manche wechselten in die Schlafwaben. Fast ausschließlich Männer bevölkerten den Cyber Planet, Frauen bildeten eine verschwindende Minderheit, und die meisten davon waren alt. Halbwegs gesund erschienen Jericho nur die User der Full-Motion-Suits und Laufbänder, die gezwungenermaßen so etwas wie Körpereinsatz bei der Erkundung virtueller Universen zeigten. Viele von ihnen verbrachten ihre Zeit in Parallelwelten wie Second Life und Future Earth oder im Evolutionarium, wo sie als Tiere agieren konnten, vom Dinosaurier bis hin zur Bakterie. Einige der Liegenden bewegten ihre mit Sensoren bestückten Hände, zeichneten kryptische Muster in die leere Luft, ein Indiz, dass sie um eine aktive Rolle bemüht waren. Die überwiegende Mehrheit rührte keinen Finger. Sie hatten das Endstadium erreicht, degradiert zu Beobachtern ihres eigenen, zerdehnten Exitus.
    Seltsamerweise übte die Atmosphäre eine kathartische Wirkung auf Jericho aus, in der Zhaos Schmähungen rückstandslos vergingen. Die Netz-Zombies schienen sich gleichsam aufzuraffen, ließen ihn wissen, es bedürfe lediglich einer unbedeutenden Willensanstrengung, um den Status seiner Einsamkeit zu beenden, zeigten mit dürren Fingern auf ihn, beschuldigten ihn, mit der Tristesse zu liebäugeln, sich in der Vergangenheit eingemauert und seine Misere selbst herbeigeführt zu haben, schickten ihn zurück ins Leben, das bis jetzt gar nicht so schlecht gewesen war, wie er begriff. Er fasste tausend Entschlüsse, Seifenblasen, auf deren Oberfläche die Zukunft irisierte. Auf eigentümliche Weise spendete der Cyber Planet Trost. Wie inszeniert rief dann auch noch Zhao an und behauptete, einfach nur wissen zu wollen, wie es Jericho gehe.
    Es gehe ihm gut, behauptete Jericho zurück.
    Und wieder wartete er. Hinreichend damit vertraut, stoisch auf einen Fleck zu starren, begann ihn das Kommen und Gehen auf dem Markt zu langweilen. Leute aßen und tranken, feilschten, hingen herum, paarten sich, lachten oder gerieten in Streit. Die Nacht gehörte den Gangstern, hier überführten sie die Beute des Tages zurück in den Kreislauf der Gier, friedlich, wie es schien. Er begann Zhao um die Prügelei zu beneiden, beschloss, sich eine Weile ganz auf die Scanner zu verlassen, verband die Holobrille mit seinem Handy und loggte sich in Second Life ein. Der Markt verschwand und wich einem Boulevard mit Bistros, Geschäften und einem Kino. Über den Touchscreen des Handys steuerte Jericho seinen Avatar über die Straße. In dieser Welt war er dunkelhäutig, trug langes, schwarzes Haar und hieß Juan Narciso Ucañan, ein Name, den er vor Jahren in irgendeinem Katastrophenthriller gelesen hatte. An einem Tisch in der Sonne saßen drei gut aussehende junge Frauen, alle mit transparenten Flügeln und filigranen Antennen über den Augen.
    »Hallo«, sagte er zu einer von ihnen.
    Sie schaute auf und strahlte ihn an. Jerichos Avatar war eine Meisterleistung der Programmierung und selbst für gehobene Second Life-Ansprüche außergewöhnlich gut aussehend.
    »Ich heiße Juan«, sagte er. »Ich bin neu hier.«
    »Inara«, sagte sie. »Inara Gold.«
    »Du siehst

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