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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Menge Energie. Die sparsame Alternative, der Gyrokopter, schraubte sich wie ein Hubschrauber per Rotorkraft in die Höhe, barg allerdings den Nachteil allzu ausladender Rotorblätter. Bilanziell stand der Aufwand, Autos zum Fliegen zu bringen, in keinerlei Verhältnis zum Effekt, und auch Airbikes, wenngleich sparsamer und erschwinglicher, stellten nicht wirklich eine Ausnahme dar. Sie waren immer noch teuer genug, dass Jericho sich fragte, wer es sich leisten konnte, einen Killer gleich mit dreien davon auszustatten, noch dazu Spezialanfertigungen. Die chronisch Not leidende Polizei? Kaum. Geheimdienste? Schon eher. Das Militär?
    War Kenny Soldat? Steckte die Armee dahinter?
    Den Rucksack geschultert, fuhr Jericho mit dem Lift zu seinem Stockwerk und hielt sein Handy gegen die Schnittstelle neben der Zimmertür. Sie schwang auf und gab den Blick auf das darunterliegende Zimmer frei. Überladen und bieder, war sein erster Eindruck. Alles in ausgezeichnetem Zustand, stilistisch allerdings gestrandet. Jericho kümmerte es nicht. Innerhalb weniger Minuten hatte er Diane aus ihrem Rucksack befreit und vernetzt. Damit war dieses Zimmer nun auch seine neue Detektei.
    Würde Kenny das Loft in Brand setzen?
    Jericho massierte seine Schläfen. Es hätte ihn nicht gewundert, andererseits bezweifelte er, dass der Killer in Xintiandi warten würde, bis er sich meldete. Kenny würde auf eigene Faust versuchen, Yoyo dingfest zu machen, wohl wissend, dass Jericho nicht automatisch zur Kollaboration bereit war, bloß weil er mit Streichhölzern wedelte.
    »Diane?«
    »Ich bin hier, Owen.«
    »Was macht die Suche nach dem Passwort?«
    Die Frage war idiotisch. Solange Diane ihrerseits keinen Erfolg vermeldete, konnte er sich Fragen nach dem Fortgang sparen. Doch mit dem Computer zu sprechen gab ihm das Gefühl, Herr eines kleinen Teams zu sein, das alles unternahm, was in seiner Macht stand.
    »Du wirst der Erste sein, der es erfährt«, sagte Diane.
    Jericho stutzte. War das Humor? Nicht übel. Er legte sich auf das riesige, schreiend gelb couvrierte Bett und fühlte sich entsetzlich müde und nutzlos. Owen Jericho, Cyber-Detective. Zum Totlachen. Er hatte Yoyo finden sollen und ihr stattdessen einen Psychopathen auf den Hals gehetzt. Wie um alles in der Welt sollte er das Tu erklären, geschweige denn Chen Hongbing?
    »Owen?«
    »Diane?«
    »Gerade setzt jemand einen Beitrag in Brilliant Shit ab.«
    Jericho setzte sich ruckartig auf.
    »Lies vor.«
    Im ersten Moment war er enttäuscht. Es war eine Koordinatenangabe, ohne Absender oder ein einziges schmückendes Wort. Uhrzeit, Eingabecode, nichts weiter.
    Eine Adresse in Second Life.
    Stammte sie von Yoyo?
    Mit Blei in Kopf und Armen stemmte er sich hoch, trat zu dem kleinen Schreibtisch, auf dem er Tastatur und Bildschirm platziert hatte, und nahm den kurzen Text in Augenschein. Am Ende fand er einen einzelnen Buchstaben, den er wohl überhört hatte.
    Ein D.
    Demon.
    Jericho warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach elf. Um Punkt zwölf erwartete Yoyo ihn in der Virtualität. Vorausgesetzt, die Nachricht stammte tatsächlich von ihr und war kein weiterer Versuch Kennys, ihn zu orten. Hatte er dem Killer die Adresse des Blogs verraten? Nicht, soweit er sich erinnerte. So gerissen konnte Kenny gar nicht sein, dass er plötzlich auch in Brilliant Shit aufkreuzte, dennoch war Vorsicht angezeigt. Jericho beschloss, kein Risiko einzugehen. Ab sofort würde jede Online-Kommunikation über den Anonymisierer laufen.
    Er legte sich zurück aufs Bett und starrte an die Decke.
    Nichts gab es, das er tun konnte.
    Nach wenigen Minuten legte sich eine Flaute über die aufgepeitschte See seiner Nerven. Er dämmerte weg, doch es war kein erholsamer Schlaf, in den er sank. Dicht unter der Oberfläche des Bewusstseins suchten ihn Bilder kriechender Torsos heim, die keine Menschen waren, sondern gescheiterte Entwürfe menschlicher Wesen, grotesk verformt und unvollständig, mit Blut und Schleim überzogen wie Neugeborene. Er sah Kreaturen ohne Beine, die Gesichter nichts als glatte, glänzende Flächen, vertikal gespalten von obszön zuckenden rosa Öffnungen. Halb verkohlte Klumpen staksten spinnengleich auf einem Dutzend Armen oder mehr heran. Im Schorf formlosen Gewebes öffneten sich unvermittelt Augen und Münder. Etwas Blindes, Gestrecktes wand sich ihm entgegen und ließ eine knotige Zunge zwischen reißzahnbewehrten Kiefern hervorschnellen, und doch verspürte Jericho keine Furcht, nur eine

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