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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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lastende Traurigkeit, da er wusste, dass alle diese Monstrositäten in einem anderen Leben wohlgestaltet gewesen waren wie er selbst.
    Dann fiel er und fand sich auf einem Bett wieder, doch es war ein anderes Bett als das, auf dem er sich ausgestreckt hatte. Dunkel und feucht, beschienen von kränklichem Mondlicht, das durch ein ungeputztes Fenster hereinfiel und die Trostlosigkeit des nahezu kahlen Raums konturierte, in den es ihn verschlagen hatte, schien es eine merkwürdige Macht über ihn auszuüben. Luzide träumend war ihm klar, dass er eigentlich in seinem komfortablen, bieder eingerichteten Zimmer hätte liegen müssen, doch es gelang ihm nicht, sich aufzurichten und seine Augen zu öffnen. Wie magnetisch war er an die modernde Matratze gefesselt, gebettet in trockene, unheimliche Stille.
    Und mitten in diese Stille hinein vernahm er plötzlich das Klacken chitingepanzerter Beine.
    Gezackte Füße kratzten an den Rändern der Bettdecke, verhakten sich im Gewebe und zogen fette, segmentierte Körper zu ihm hoch. Eine Woge der Angst überspülte ihn. Sein Entsetzen verdankte sich weniger der Frage, was die gepanzerten Wesen mit ihm anstellen würden, als vielmehr der fürchterlichsten aller Erkenntnisse, dass nämlich eine perfide Laune ihn zurück in die Vergangenheit geschleudert hatte, in eine Phase seines Lebens, die er längst überwunden geglaubt hatte. Sein gesellschaftlicher Aufstieg in Shanghai, der Frieden, den er mit Joanna geschlossen hatte, die Ankunft in Xintiandi, alles entpuppte sich als Fantasie, als der eigentliche Traum, aus dem ihn die unsichtbaren Insekten nun mit ihrem Rascheln und Knacken weckten.
    Tatsächlich war er der Hölle nie entkommen.
    Nah bei ihm begann jemand zu wimmern, in hohen, singenden Tönen. Alles versank in Dunkelheit, weil sich der Tatbestand seiner geschlossenen Augen gegen die Vision des schrecklichen Zimmers durchzusetzen begann. Sein Geist fand zurück in die Wirklichkeit, nur dass sein Körper nichts davon mitbekommen zu haben schien. Er reagierte auf keinerlei Bemühung, ihn zu bewegen. Jericho begann mit der unheimlichen Starre zu ringen, indem er dieses Wimmern produzierte, echte Laute, die jeder, der im Raum gewesen wäre, ebenso hätte hören können wie er selbst, und endlich, unter Aufbietung aller Kräfte, gelang es ihm, den kleinen Finger seiner linken Hand zu bewegen. Inzwischen war er ganz und gar wach. Geschichten fielen ihm ein von Menschen, die – scheinbar verstorben – zu Grabe getragen worden waren, während sie tatsächlich jeden Moment in kristallener Klarheit wahrnahmen, ohne die geringste Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen, und er wimmerte noch lauter in seiner Panik und Verzweiflung.
    Es war Diane, die ihn rettete.
    »Owen, ich habe Yoyos Passwort geknackt.«
    Ein Zucken ging durch seinen paralysierten Körper. Jericho fuhr hoch. Die Stimme des Computers hatte den Bann gelöst, Traumbilder gurgelten in den Abfluss des Vergessens. Er atmete einige Male tief durch, bevor er fragte:
    »Wie lautet es?«
    »Friss mich, und ich fresse dich von innen.«
    Mein Gott, Yoyo, dachte er. Wie theatralisch. Zugleich war er dankbar, dass sie den Zugangscode offenbar in einer Anwandlung von Rebellenromantik gewählt hatte, anstatt sich für die sicherere Variante einer zufälligen Reihe aus Buchstaben und Zahlen zu entscheiden, die weit schwerer zu entschlüsseln war.
    »Lade den Inhalt herunter«, sagte er.
    »Schon geschehen.«
    »In YOYOFILES speichern.«
    »Gerne.«
    Jericho seufzte. Wie konnte er Diane bloß das verdammte Gerne abgewöhnen? So sehr er ihre Stimme, ihren Tonfall mochte, störte ihn das Wort mit jedem Mal mehr. Es hatte etwas Serviles, das er verabscheute. Er rieb sich die Augen und hockte sich auf die Kante des Schreibtischstuhls, die Augen auf den Monitor geheftet.
    »Diane?«
    »Ja, Owen?«
    »Kannst du – ich meine, wäre es möglich, dass du die Vokabel Gerne aus deinem Wortschatz streichst?«
    »Was meinst du explizit? Gerne? Oder Die Vokabel Gerne ?«
    »Gerne.«
    »Ich kann dir anbieten, das Wort zu unterdrücken.«
    »Großartige Idee. Mach das!«
    Fast erwartete er, dass der Computer seinem Wunsch mit einem weiteren Gerne nachkam, aber Diane sagte nur samtweich:
    »Erledigt.«
    »Gut.« Und wie erschütternd einfach. Warum war er nicht längst auf die Idee gekommen? »Zeige mir alle Downloads in YOYOFILES vom Mai dieses Jahres, sortiert nach der Uhrzeit.«
    Eine kurze Liste erschien auf dem Bildschirm, rund zwei Dutzend

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