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Limit

Limit

Titel: Limit
Autoren: Frank Schätzing
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seine Akte vor. In der Hauptstadt wusste man zwar um seinen Aufenthaltsort, doch die Verbindung hatte sich gelockert, da die Pädophilenszene in ständigem Umbau begriffen war und Ma glaubhaft anführen konnte, den Kontakt zum inneren Kreis verloren zu haben. Niemand schenkte ihm noch Beachtung, es gab anderes zu tun. Neue Abgründe gestatteten Blicke auf Welten menschlicher Niedertracht, dass einem speiübel werden konnte.
    Welten wie das Paradies der kleinen Kaiser.
    Im Morast der Überforderung, 1,4 Milliarden Individuen in all ihrer sozialen Konfliktbeladenheit zugleich zu schützen, zu kontrollieren und zu schikanieren, heuerten Chinas Behörden zunehmend Privatermittler zu ihrer Unterstützung an. Der fortschreitenden Digitalisierung geschuldet, setzten sie dabei auf Cyber-Detektive, Spezialisten für jede Art Kriminalität und ominöse Vorgänge im Netz, und Owen Jericho stand im Ruf außerordentlicher Befähigung. Sein Portfolio war makellos, was die Aufklärung von Webspionage, Phishing, Cyberterrorismus und so weiter anging. Er unterwanderte illegale Communities, infiltrierte Blogs, Chaträume und virtuelle Welten, spürte verschwundene Personen anhand ihrer digitalen Fingerabdrücke auf und beriet Unternehmen darin, sich vor elektronischen Attacken, Trojanern und Root-Kits zu schützen. In England war er einige Male mit Fällen von Kinderpornografie befasst gewesen, also hatte man ihn, als sich einem Team schockierter Ermittler die Hölle der kleinen Kaiser erschloss, um Schützenhilfe gebeten, angetragen durch Patrice Ho, einen hochrangigen Beamten der Shanghaier Polizei, dem Jericho freundschaftlich verbunden war. Als Ergebnis dieser Bitte stand er nun hier und beobachtete Animal Ma auf seinem Weg in die alte, leer stehende Fahrradfabrik.
    Er fröstelte trotz der Hitze. Den Auftrag anzunehmen hatte erfordert, dem Paradies der kleinen Kaiser einen Besuch abzustatten. Eine Erfahrung, die für alle Zeit Spuren in seiner Großhirnrinde hinterlassen würde, auch wenn ihm grundsätzlich klar gewesen war, worauf er sich einließ. Kleine Kaiser, so nannten Chinesen in italienisch anmutender Vernarrtheit ihre Kinder. Doch es war unumgänglich gewesen, ins Paradies zu reisen, sich einzuloggen und die Holobrille aufzusetzen, um zu verstehen, nach wem er suchte.
    Animal Ma durchschritt das Fabriktor.
    Nachdem die sonst so erneuerungsfreudige Stadtplanung keine Tendenzen hatte erkennen lassen, das Ensemble schimmeliger Backsteinbauten abzureißen, waren Künstler und Freiberufler dort eingezogen, darunter ein Schwulenpärchen, das antiquierte Elektrogeräte reparierte, eine Ethno-Metal-Band, die mit einer Mando-Prog-Band um die Wette lärmte und allabendlich ein verödet daliegendes Fitnessstudio in seinen Grundfesten erschütterte, sowie Ma Liping mit seinem An- und Verkauf jedweder Ware, von der billig imitierten Ming-Vase bis hin zu mausergeplagten Singvögeln in tragbaren Bambusheimen. Allerdings schien seine Kundschaft, falls es sie überhaupt gab, geschlossen auf Reisen gegangen zu sein. Der Ermittler aus Shenzhen, mit dem Jericho zusammenarbeitete, hatte am 20. Mai mit Mas Observierung begonnen und den Mann zwei Tage lang nicht aus den Augen gelassen, war ihm von seinem Wohnort zur alten Fabrik und zurück gefolgt, hatte Fotos geschossen, jeden seiner hüftleidigen Schritte überwacht und sein Kundenaufkommen bilanziert. Demnach hatten sich während der Zeit ganze vier Personen in den An- und Verkauf verirrt, eine davon Mas Frau, eine ordinär aussehende Südchinesin schwer zu bestimmenden Alters. Die kümmerliche Frequentierung der Geschäftsräume verwunderte umso mehr, als die beiden in einem für hiesige Verhältnisse gepflegten und großzügig dimensionierten Sechs-Parteien-Haus lebten, das Ma sich von dem bisschen, was der Laden abwarf, unmöglich leisten konnte. Die Frau ging, soweit bekannt, keiner geregelten Tätigkeit nach, kreuzte mehrmals täglich im Laden auf und blieb dort längere Zeit, möglicherweise um Bürokram zu erledigen oder sich der Bedienung von Kunden zu widmen, die nicht kamen.
    Bis auf jene zwei Männer.
    Aus einer ganzen Reihe von Gründen war Jericho zu der Überzeugung gelangt, dass Ma, wenn nicht als einzige, so doch als treibende Kraft hinter dem Paradies der kleinen Kaiser steckte. Nachdem es ihm gelungen war, den Verdächtigenkreis auf eine Handvoll Kinderschänder einzugrenzen, die aktuell im Netz wüteten oder zu einem früheren Zeitpunkt dort auffällig geworden waren,
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