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Limit

Limit

Titel: Limit
Autoren: Frank Schätzing
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langweilig und mit der Gefahr verbunden, dass einem hinterher schlecht wurde. Heidruns pigmentloser, anorektischer Körper hingegen, ihr weißes Haar, schneeweiß überall, verhieß eine erotische Grenzerfahrung.
    Chambers seufzte innerlich. In diesem Kreis konnte sie sich keinerlei Eskapaden leisten, zumal der Schweizerin auf der Stirn geschrieben stand, dass Frauen sie nicht interessierten.
    Jedenfalls nicht so.
    Ein Stück weiter erblickte sie Chuck Donoghues halslose Fassgestalt. Sein Kinn war befehlshaberisch vorgereckt, das dünner werdende, rötliche Haar zu einer Skulptur gefönt. Er hatte eine dröhnende Sprechattacke auf zwei Frauen gestartet, eine groß und knochig, mit rotblonden Haaren, die andere dunkel und zierlich, augenscheinlich einem Gemälde von Modigliani entsprungen. Eva Borelius und Karla Kramp. In regelmäßigen Abständen wurde Chucks Vortrag von Aileen Donoghues mütterlichem Falsett konterkariert. Rosenwangig und silbern toupiert, erwartete man sie jeden Moment losflitzen und selbst gebackenen Apfelkuchen servieren zu sehen, was sie dem Vernehmen nach mit Begeisterung tat, sofern sie Chuck nicht gerade half, das gemeinsame Hotelimperium zu leiten. Um mit Borelius zu sprechen, hätte Chambers jedoch Chucks Witzeleien in Kauf nehmen müssen, also suchte sie Lynn und fand sie im Gespräch mit einem Mann, der ihr auffallend glich. Dasselbe aschblonde Haar, meerblaue Augen, Orley-Doppelhelix. Lynn sagte gerade: »Mach dir keine Sorgen, Tim, mir ging's nie besser«, als Chambers hinzutrat.
    Der Mann wandte den Kopf und musterte sie vorwurfsvoll.
    »Entschuldigung.« Sie machte Anstalten zu gehen. »Ich störe.«
    »Gar nicht.« Lynn hielt sie am Arm zurück. »Kennst du eigentlich schon meinen Bruder?«
    »Freut mich. Wir hatten noch nicht das Vergnügen.«
    »Ich gehöre nicht zur Firma«, sagte Tim steif.
    Chambers erinnerte sich, dass Julians Sohn dem Konzern schon vor Jahren den Rücken gekehrt hatte. Das Verhältnis der Geschwister zueinander war innig, zwischen Tim und seinem Vater gab es Probleme, die begonnen hatten, als Tims Mutter gestorben war, im Zustand geistiger Umnachtung, wie gemunkelt wurde. Mehr hatte Lynn ihr nie verraten, nur, dass Amber, Tims Frau, die Ressentiments ihres Mannes gegen Julian nicht teilte.
    »Weißt du eventuell, wo Rebecca ist?«, sagte Chambers.
    »Rebecca?« Lynn zog die Brauen zusammen. »Müsste jeden Moment runterkommen. Eben hab ich sie in ihrer Suite abgeliefert.«
    In Wirklichkeit war es Chambers herzlich egal, wo sich Rebecca Hsu herumtrieb und mit wem sie telefonierte. Sie hatte nur gerade das deutliche Gefühl, unerwünscht wie Gürtelrose zu sein, und suchte einen Grund, sich elegant wieder zu verdrücken.
    »Und sonst? Gefällt's dir?«
    »Super! – Ich hörte, Julian trifft erst übermorgen ein?«
    »Er hängt in Houston fest. Unsere amerikanischen Partner machen ein bisschen Stress.«
    »Ich weiß. Es spricht sich rum.«
    »Aber zur Show wird er da sein.« Lynn grinste. »Du kennst ihn ja. Er liebt den großen Auftritt.«
    »Es ist ja zuallererst dein Auftritt«, sagte Chambers. »Du hast alles fantastisch hinbekommen, Lynn. Gratuliere! Tim, Sie können stolz auf Ihre Schwester sein.«
    »Danke, Evy! Vielen Dank.«
    Tim Orley nickte. Chambers fühlte sich mehr denn je unwillkommen. Merkwürdig, dachte sie, eigentlich kein unsympathischer Bursche. Was ist sein Problem? Hat er eines mit mir? Wo bin ich da reingeplatzt?
    »Werden Sie mit uns fliegen?«, fragte sie.
    »Ich, ähm – klar, das ist Lynns große Stunde.« Er rang sich ein Lächeln ab, legte seiner Schwester den Arm um die Schulter und zog sie an sich. »Glauben Sie mir, ich bin unendlich stolz auf sie.«
    So viel Warmherzigkeit schwang in seinen Worten mit, dass Chambers allen Grund gehabt hätte, gerührt zu sein. Nur der Unterton in Tims Stimme sagte, zieh Leine, Evelyn.
    Sie ging zurück zur Party, einigermaßen ratlos.
     
    Der Phase der Dämmerung war kurz, aber traumhaft. Die Sonne vergeudete sich in Blutrot und Rosa, bevor sie sich im Pazifik ertränkte. Innerhalb weniger Minuten brach die Dunkelheit herein. Bedingt durch die Lage des Stellar Island Hotels am Osthang verging sie für die meisten der Anwesenden nicht im Meer, sondern rutschte hinter den vulkanischen Höhenrücken, sodass lediglich O'Keefe und die Ögis in den Genuss des ganz großen Abgangs kamen. Sie hatten die Gesellschaft verlassen und waren zur Kristallkuppel hochgefahren, von wo aus man die komplette Insel
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