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Limit

Limit

Titel: Limit
Autoren: Frank Schätzing
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samt der unzugänglichen, regenwaldüberwucherten Westseite überblickte.
    »Mein Gott«, sagte Heidrun und starrte hinaus. »Wasser auf allen Seiten.«
    »Keine aufrüttelnde Erkenntnis, mein Schatz.« Ögis Stimme erklang aus der Rauchwolke seiner Zigarre. Er hatte die Gelegenheit genutzt, sich umzuziehen, und trug nun ein stahlblaues Hemd mit altmodisch hineingebundenem Halstuch.
    »Wie man's nimmt, Stinker.« Heidrun drehte sich zu ihm um. »Wir stehen auf einem verdammten Stein im Pazifik.« Sie lachte. »Ist dir klar, was das heißt?«
    Ögi blies eine Spiralgalaxie in die aufziehende Nacht.
    »Solange die Havannas nicht zur Neige gehen, heißt es, dass wir hier gut aufgehoben sind.«
    Während sie redeten, schlenderte O'Keefe ziellos umher. Die Terrasse wurde zur Hälfte von einer gewaltigen gläsernen Kuppel überspannt, der sie ihren Namen verdankte. Nur wenige Tische waren für das Dinner eingedeckt, aber Lynn hatte ihm erzählt, dass bei Hochbetrieb über 300 Leute hier Platz fanden. Er schaute nach Osten, wo die Plattform hell erleuchtet im Meer lag. Sie bot einen fantastischen Anblick. Nur die Linie wurde vom Dunkel des Himmels absorbiert.
    »Vielleicht wirst du dich ja bald schon auf den verdammten Stein zurückwünschen«, sagte er.
    »Ach ja?« Heidrun bleckte die Zähne. »Vielleicht halte ich dir aber auch das Händchen – Perry.«
    O'Keefe grinste. Nachdem er sich viele Jahre lang mit der Konsequenz eines Lemmings in die Abgründe des nichtkommerziellen Films gestürzt und seine Rollen unter Gesichtspunkten der Unangepasstheit ausgewählt hatte, war er selbst am meisten überrascht gewesen, für die Verkörperung Kurt Cobains den Oscar zu gewinnen. Hyperactive geriet zum Zertifikat seines Könnens. Niemand konnte noch ignorieren, dass die Apotheose des scheuen Iren mit dem Bernsteinblick, den ebenmäßigen Zügen und den sinnlichen Lippen längst vollzogen war, in sperrigen Low- and No-Budget-Produktionen, kryptischen Autorenfilmen und verwackelten Dogma-Dramen. Das einstige Kassengift war zur Droge mutiert. Klugerweise hatte er es danach vermieden, auf Blockbuster zu schielen, und weiterhin gespielt, was ihm gefiel, nur dass es plötzlich allen gefiel. Unverändert konnten ihn aserbaidschanische Regisseure für ein Taschengeld buchen, wenn ihm der Stoff zusagte. Er kultivierte seine Herkunft und spielte James Joyce. Er engagierte sich für Obdachlose und Drogenopfer. Er tat so viel Gutes vor und hinter der Kamera, dass seine Vergangenheit ins Nebulöse entrückte: geboren in Galway, Provinz Connacht. Mutter Journalistin, Vater Operntenor. Früh Klavier und Gitarre erlernt, Theater gespielt, um seiner Schüchternheit Herr zu werden, Statistenrollen in TV-Serien und Werbefilmen. An Dublins Abbey Theatre von Nebenrollen zu Hauptrollen vorgearbeitet, mit den Black Sheep im O'Donoghues Pub brilliert, Lyrik und Kurzgeschichten verfasst. Gar ein Jahr bei den Tinkers gelebt, den irischen Zigeunern, aus purer romantischer Verbundenheit zum guten alten Éire. Als rebellischer Bauernsohn schließlich in der Fernsehserie Mo ghrá thú so überzeugend agiert, dass Hollywood anrief.
    Hieß es, klang gut, stimmte auch irgendwie.
    Dass der schüchterne Finn schon als Kind zum Ausrasten geneigt und Mitschülern die Zähne ausgeschlagen hatte, dass er als lernfaul galt und aus Entscheidungsnot, was er werden wollte, erst mal gar nichts tat, fand seltener Erwähnung. Auch nicht das Zerwürfnis mit seinen Eltern, sein maßloser Alkoholkonsum, die Drogen. An das erste Jahr bei den Tinkers fehlte ihm jede Erinnerung, weil er die meiste Zeit betrunken, high oder beides gewesen war. Nach erfolgter Sozialisierung am Abbey Theatre hatte ihm ein deutscher Produzent die Hauptrolle in der Verfilmung des Süskind-Klassikers Das Parfum in Aussicht gestellt, nur dass O'Keefe, während Ben Wishaw vorsprach, zugedröhnt auf einer Dubliner Hure eingeschlafen und gar nicht erst zum Termin erschienen war. Kein Wort davon, dass er sein Engagement wegen ähnlicher Eskapaden verloren hatte und aus der Serie geflogen war, gefolgt von zwei weiteren Jahren der Verwahrlosung beim fahrenden Volk, bis er sich endlich zur Versöhnung mit seinen Eltern und einer Entziehungskur hatte aufraffen können.
    Erst danach setzte der Mythos ein. Von Hyperactive bis hin zu jenem denkwürdigen Tag im Januar 2017, da ein arbeitsloser, deutschstämmiger Drehbuchautor in Los Angeles ein 50 Jahre altes Groschenheftchen in die Finger bekam, das den Beginn
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