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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Er findet vielleicht, wir hätten uns nicht wehren dürfen. Möglich, dass er Frieden gibt. Ebenso gut möglich, dass er mein Loft in Brand steckt oder euer Haus, uns auflauert und uns abknallt, einfach weil er sauer ist.«
    »Du verstehst es wie gewohnt, Optimismus zu verbreiten.«
    Jericho sah sie finster an. »Das ist ja wohl dein Job.«
    Er wusste, dass es unfair war, so etwas zu sagen, doch sie hatte es aus ihm herausgekitzelt. Eine schäbige, kleine Gemeinheit mit spitzen Zähnen und fadenscheinigem Fell, die heranwuselte, aus dem Hinterhalt zubiss und kichernd verreckte.
    »Idiot.«
    »Tut mir leid«, sagte er.
    »Muss es nicht.«
    Sie stand auf und fuhr ihm übers Haar. Auf eigenartige Weise fühlte sich Jericho von ihrer Geste zugleich getröstet und gedemütigt. Auf Tus Computerkonsole leuchtete ein Display auf. Der Wachdienst ließ verlauten, die Polizei sei eingetroffen und wünsche Herrn Tu nebst anderen Anwesenden zu den Vorfällen in Quyu und Hongkou zu befragen.
     
    Die Befragung verlief in der Art, wie Befragungen bei besser gestellten Personen zu verlaufen pflegten. Eine ermittelnde Beamtin, Assistenten im Gefolge, legte große Höflichkeit an den Tag, versicherte alle Anwesenden ihrer ausdrücklichen Anteilnahme und nannte die Vorfälle in raschem Wechsel ›entsetzlich‹ und ›verabscheuenswert‹, Herrn Tu ein ›verdientes Mitglied der Gesellschaft‹, Chen und Yoyo ›heldenhaft‹ und Jericho einen ›geschätzten Freund der Behörden‹. Dazwischen warf sie Fragen wie Zirkusmesser. Definitiv glaubte sie die Geschichte an genau den Stellen nicht, an denen sie auch nicht stimmte, etwa hinsichtlich Kennys Motivation. Ihr Blick spiegelte die Freundlichkeit des Schlachters, der den Schweinen gut zuredete, während er sie im Geiste tranchierte.
    Chen wirkte noch hohlwangiger als sonst. Tus Gesicht wies Anflüge von Purpur auf, Yoyo trug verbissenen Trotz zur Schau. Offenbar hatte das Eintreffen der Polizei sie aus einer hitzigen Diskussion gerissen. Jericho fiel auf, dass die Kommissarin das emotionale Klima aufs Grad genau maß, ohne es vorerst zu kommentieren. Erst im Verlauf der Einzelvernehmungen wurde sie deutlicher. Sie war eine Frau mittleren Alters mit glatt gebürstetem Haar und intelligenten Augen hinter einer altmodisch anmutenden Brille mit kleinen Gläsern und dicken Bügeln. Jericho wusste es besser. Das Ding war ein MindReader, ein tragbarer Computer, der sein Gegenüber filmte, dessen Mimik durch einen Verstärker laufen ließ und das Resultat in Echtzeit auf die Brillengläser übertrug. Ein winziges süffisantes Lächeln trat auf diese Weise überdeutlich in Erscheinung. Ein nervöses Lidzucken geriet zum mimischen Beben. Verräterische Signale im Mienenspiel, die normalerweise niemandem auffielen, wurden lesbar. Jericho vermutete, dass sie zudem einen Interpreter zugeschaltet hatte, der Färbung, Akzentuierung und Fluss seiner Stimme dramatisierte. Der Effekt war verblüffend. Schaltete man MindReader und Interpreter zu, sprachen Vernommene plötzlich wie schlechte Schauspieler und wurden zu grimassierenden Grobmotorikern, ganz gleich, wie gut sie sich unter Kontrolle zu haben glaubten.
    Auch Jericho hatte schon mit beiden Programmen gearbeitet. Nur sehr erfahrene Ermittler setzten sie ein. Es erforderte jahrelange Übung, die feinen Diskrepanzen zwischen Mimik, Tonfall und Inhalt einer Aussage richtig zu deuten. Er ließ sich nicht anmerken, dass er das Gerät erkannt hatte, erzählte stoisch seine Version der Vorfälle und parierte Frage um Frage:
    »Sie sind tatsächlich nur ein Freund der Familie?«
    »Und es gab keinen besonderen Grund, warum Sie gerade heute im Stahlwerk waren?«
    »Diese Typen sind zeitgleich mit Ihnen im Stahlwerk eingetroffen, und Sie wollen mir erzählen, das sei bloßer Zufall?«
    »Hatten Sie vielleicht einen Auftrag in Quyu?«
    »Sie finden es nicht seltsam, dass Grand Cherokee Wang ermordet wird, einen Tag, nachdem Sie ihn aufgesucht haben?«
    »Sie wissen, dass Chen Yuyun wegen Agitation und Weitergabe von Staatsgeheimnissen im Gefängnis war?«
    »Wissen Sie denn, dass Tu Tian nicht immer im Sinne des chinesischen Staates und unserer berechtigten Sorge um dessen innere Stabilität gehandelt hat?«
    »Was ist Ihnen über das Leben Chen Hongbings bekannt?«
    »Ich soll Ihnen ernsthaft glauben, dass keiner von Ihnen – obwohl die Taten eindeutig auf ein von langer Hand geplantes Vorgehen schließen lassen! – auch nur den blassesten Schimmer

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