Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
benutzen?«
    »Natürlich.« Tu zögerte, dann zuckte er ergeben die Achseln. »Ich werde dann mal die Polizei verständigen. Oder?«
    »Mach das.«
    »Stehen wir alle für eine Vernehmung zur Verfügung?«
    »Verstecken bringt nichts, andernfalls statten sie uns Privatbesuche ab.« Jericho runzelte die Brauen. »Überhaupt dürften sie damit schon angefangen haben. Das erste Opfer in Kennys schmutzigem Spiel war Grand Cherokee Wang.« Er sah Yoyo an. »Dein Wohngenosse. Sie werden mit Fragen regelrecht über dich herfallen.«
    »Sollen sie doch«, sagte Yoyo grimmig. »Sollen sie ruhig versuchen, mich zu fressen.«
    »Friss mich, und ich fresse dich von innen.«
    »Gut gelernt«, schnaubte Yoyo, drehte sich um und ging zur Küche.
     
    Jericho war heilfroh, Diane wiederzuhaben. Ohne sich viel davon zu versprechen, überprüfte er die drei Webseiten, die laut Protokoll ausgetauscht werden sollten, und wurde enttäuscht. Die Maske förderte nichts zutage. Offenbar waren sie tatsächlich aus dem Verkehr gezogen worden.
    Blieben die Schweizfilme und eine Vermutung.
    Er gab Diane eine Reihe von Anweisungen. Sie ließ ihn mit programmierter Verbindlichkeit wissen, die Auswertung werde etwas Zeit in Anspruch nehmen, was nichts anderes hieß, als dass sie fünf Minuten oder fünf Jahre dauern konnte. Diesbezüglich hatte der Computer keinen Plan. Ebenso gut hätte man Alexander Fleming fragen können, wie lange er für die Entdeckung des Penicillins brauchen würde. Da es dreidimensionale Filme waren, hatte Diane zudem keine Datenflächen, sondern Datenkuben zu durchforsten, was die Arbeit in die Länge zu ziehen drohte.
    Joanna brachte ihm Tee und englisches Gebäck.
    Seit vier Jahren waren sie jetzt getrennt, und immer noch wusste Jericho nicht recht, wie er der Frau begegnen sollte, die ihn nach Shanghai gelockt und dort sitzen gelassen hatte. Zumindest empfand er es so, dass Joanna ihn abserviert hatte, um stattdessen einen Partizipanten des chinesischen Booms zu ehelichen, der augenscheinlich nicht im Mindesten den Vorstellungen entsprach, die man sich von einem Mann an ihrer Seite machte. Doch ausgerechnet dieser Mann war Jerichos engster Freund geworden: Eine von Joanna initiierte Freundschaft, die im Kokon geschäftlicher Beziehungen herangewachsen war, sodass weder Tu noch Jericho wirklich etwas davon mitbekommen hatten. Es war Joanna gewesen, die beide auf den Umstand ihrer tieferen Verbundenheit hatte hinweisen müssen, um ihm gesondert mit auf den Weg zu geben, dass er endlich aufhören solle, sich in jedermanns Schuld zu wähnen.
    »Tue ich nicht«, hatte er geantwortet und sie dabei so verständnislos angesehen, als habe sie ihm nahegelegt, künftig nicht mehr auf allen vieren zur Arbeit zu laufen.
    Tatsächlich wusste Jericho sehr genau, was sie meinte. Natürlich hatte sie es überspitzt formuliert, ihrem Naturell geschuldet, denn Joanna schlug ins andere Extrem: Sie empfand so gut wie niemals Schuld. Man mochte ihr deswegen Selbstgerechtigkeit vorwerfen, doch war sie weit davon entfernt, amoralisch zu handeln. Es mangelte ihr einfach am Schuldsein, in das Kinder hineingeboren werden. Vom Tag an, da man das Licht der Welt erblickte, fand man sich im Zustand des Ermahnt-, Belehrt- und Ertapptwerdens und notorisch Unrechthabens, war man Urteilen unterworfen und Korrekturen ausgesetzt, die allesamt darauf abzielten, aus einem fehlerhaften Menschen einen besseren zu machen. Der Grad der Verbesserung bemaß sich daran, wie sehr man nach den Vorstellungen anderer schlug, ein Experiment, das nur scheitern konnte. Meist scheiterte es für alle Beteiligten. Begleitet von guten Wünschen und stummen Vorwürfen begab man sich schließlich auf seinen eigenen Weg und vergaß, dem Kind in sich Absolution zu erteilen, das gewohnt war, für Alleingänge gescholten zu werden. Den Kreuzgang des »Ich muss, ich sollte, ich darf nicht« durcheilend, gelangte man nie irgendwo anders als dorthin, wo man vor langer Zeit losgelaufen war, ganz gleich, wie alt man dabei wurde. Ein Leben lang sah man sich durch die Augen anderer, maß sich an den Maßstäben anderer, bewertete sich am Wertekanon anderer, verurteilte sich mit der Empörung anderer, und nie genügte man.
    Nie genügte man sich selbst.
    Das war es, was Joanna meinte. Sie selbst hatte ein bemerkenswertes Talent entwickelt, sich aus den Verstrickungen ihrer Kindheit zu lösen. Ihr Blick auf die Dinge war unverstellt, seziermesserscharf, ihr Handeln konsequent. Sie hatte

Weitere Kostenlose Bücher