Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
alles Recht der Welt für sich in Anspruch genommen, sich von Jericho zu trennen. Sie hatte gewusst, dass ihm das Auseinanderbrechen ihrer Beziehung Schmerzen zufügen würde, doch waren solche Schmerzen in Joannas Welt ebenso wenig Resultat schuldhaften Handelns wie Zahnschmerzen. Sie hatte ihn nicht bestohlen, nicht öffentlich gedemütigt, nicht konsequent belogen. Was sie nach Ansicht anderer hätte tun oder lassen sollen, belastete sie nicht. Der einzige Mensch, dessen Blick sie standzuhalten wünschte, war der ihres Gegenübers im Spiegel.
    »Wie geht's dir?«, fragte Jericho.
    »Na, wie schon?« Joanna ließ sich in einen der Freischwinger fallen, die Tus Büro bevölkerten. »In heller Aufregung.«
    Eigentlich sah sie nicht sonderlich aufgeregt aus. Eher interessiert und ein bisschen besorgt. Jericho trank seinen Tee.
    »Hat Tian dir erzählt, was passiert ist?«
    »Er hat mich zwischen Tür und Angel ins Bild gesetzt, also kenne ich jetzt seine Version.« Joanna nahm einen Keks und knabberte versonnen daran herum. »Die von Hongbing kenne ich natürlich auch. Schauerlich. Als Nächstes wollte ich Yoyo interviewen, aber die ficht gerade ihren leidigen Vater-Tochter-Konflikt aus.«
    Jericho zögerte. »Weißt du eigentlich, worum es dabei geht?«
    »Ich bin ja nicht blöde.« Sie wies mit dem Daumen zur Tür. »Ich weiß auch, dass Tian mit von der Partie ist.«
    »Kein Problem für dich?«
    »Seine Sache. Er muss wissen, was er tut. Ich persönlich bin da beschämend ambitionslos, wie du weißt. Ich gäbe keine überzeugende Dissidentin ab. Aber ich kann ihn verstehen. Seine Gründe leuchten mir ein, also hat er meine unbedingte Unterstützung.«
    Jericho schwieg. Es war offenkundig, dass nicht nur Chen Hongbing in seiner Vergangenheit Bitternis gegessen hatte. Tus gesellschaftliche Stellung ließ auf alles Mögliche schließen, nur nicht darauf, dass er gemeinsame Sache mit einer Dissidententruppe machte. Etwas weit Zurückliegendes musste sein Handeln lenken.
    »Vielleicht erzählt er dir ja mal davon«, fügte Joanna hinzu und aß einen weiteren Keks. »Jedenfalls, ihr habt gejagt. Ich komme, um zu sammeln. Da Yoyo indisponiert ist, sammle ich bei dir.«
    Jericho erzählte ihr in kurzen Zügen, was sich seit Chens Besuch in Xintiandi zugetragen hatte. Joanna unterbrach ihn nicht, sah man von den gelegentlichen Ahs, Mms und Ohs ab, die in China der Höflichkeit halber geäußert werden, um den anderen seiner Aufmerksamkeit zu versichern. Während des Berichts verschlang sie außerdem sämtliche Kekse und trank den meisten Tee. Jericho war es recht. Er verspürte immer noch keinerlei Appetit. Nachdem er geendet hatte, war es eine Weile still im Zimmer.
    »Klingt, als hättet ihr ein längerfristiges Problem«, sagte sie schließlich.
    »Ja.«
    »Tian auch?« Es klang wie Ich auch?. Jericho war drauf und dran, ihr zu sagen, dass das eigene Wohlergehen ihre geringste Sorge sein sollte, aber vielleicht hatte er auch etwas heraushören wollen, das Joanna gar nicht gemeint hatte.
    »Das kannst du dir selbst ausrechnen«, sagte er. »Allerdings wird sich selbst Kenny mit dem Gedanken anfreunden müssen, es vermasselt zu haben. Inzwischen könnten wir Gott weiß wen ins Vertrauen gezogen haben. Die Gelegenheit, alle Mitwisser auszuschalten, hat er verpasst.«
    »Du meinst, er wird nicht weiter versuchen, Yoyo zu schaden?«
    Jericho presste die Finger gegen die Nasenwurzel. Ein leichter Anflug von Kopfschmerz machte sich bemerkbar.
    »Schwer einzuschätzen«, sagte er.
    »Inwiefern?«
    »Glaub mir, ich habe Psychopathen reinsten Wassers kennengelernt, die ihre Opfer folterten, filettierten, eindosten, verdursten ließen, dieses und jenes abschnitten, was du dir nur vorstellen kannst. Solche Typen werden ausschließlich von Obsessionen geleitet. Dann gibt's die Profikiller.«
    »Die das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.«
    »Hauptsächlich sehen sie es als Job. Es bringt Geld. Sie bauen keine emotionale Bindung zu ihren Opfern auf, sondern machen ihre Arbeit. Kenny hat den Job vergeigt. Ärgerlich für ihn, dennoch sollte man erwarten, dass er uns fortan in Ruhe lässt und sich anderen Aufgaben zuwendet.«
    »Aber du glaubst nicht daran?«
    »Er ist ein Profi und ein Psycho.« Jericho ließ den Zeigefinger über seiner Schläfe kreisen. »Und bei solchen Typen hängen die Bilder schief.«
    »Soll heißen?«
    »Jemand wie Kenny könnte sich beleidigt fühlen, weil wir nicht alle wunschgemäß abgekratzt sind.

Weitere Kostenlose Bücher