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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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seine Wünsche entgegenzunehmen. Jericho schlug heiße Lavendelbäder und Thaimassagen aus, orderte Tee und verspürte unerwartet Appetit auf die Sorte Gebäck, die Joanna ihm Stunden zuvor gebracht hatte, um es ihm unter der Nase wegzufuttern. Der Butler bot an, den Salon für ihn herzurichten. Jericho nickte in Ermangelung einer besseren Idee, lief zweimal im Kreis und merkte, wie sich zum Gefühl der Deplatziertheit das treibsandartige Empfinden von Hilflosigkeit gesellte. Nachdem er den Morgen im Schleudergang durchlebt hatte, kam es ihm nun so vor, als kaue die Welt lustlos auf ihm herum, kurz davor, ihn in die Ecke zu spucken.
    Irgendetwas musste geschehen.
    Und es geschah.
    »Owen? Hier ist Diane.«
    Er fühlte den Stromstoß der Erregung, zog das Handy hervor und sprach atemlos hinein: »Ja, Diane? Was gibt's?«
    »Ich habe etwas in den Filmen gefunden, das dich interessieren wird. Ein Wasserzeichen. Es gibt einen Film im Film.«
    Oh Diane!, dachte Jericho. Ich könnte dich küssen. Wenn du nur halb so gut aussehen würdest, wie du klingst, würde ich dich sogar heiraten, aber du bist nur ein verdammter Rechenautomat. Egal. Mach mich glücklich!
    »Warte«, rief er, als bestünde das Risiko, sie könne es sich anders überlegen und das Haus verlassen. »Ich komme!«
     
    Yoyo hätte sich gerne eingeredet, das Schlimmste überwunden zu haben, aber sie fühlte sich, als stünde es ihr in dreifacher Potenz bevor. Hongbing hatte geschrien und getobt. Über eine Stunde hatten sie debattiert. Als Folge lagen ihre Augen schmerzend im Salz vergossener Tränen, als habe sie nie etwas anderes gesehen als Elend und innere Not. Sie fühlte sich schuldig an allem. An dem Massaker im Stahlwerk, an der Zerstörung der Wohnung, an der Verzweiflung ihres Vaters, letztlich daran, dass Hongbing sie nicht liebte. Kaum entstanden, ging dieser letzte Gedanke sinistre Allianzen mit allen möglichen Formen der Selbstabscheu ein und gebar neue Schuld, nämlich, Hongbing damit unrecht zu tun. Natürlich hatte er sie geliebt, was denn sonst? Wie tief konnte man sinken, dem eigenen Vater etwas anderes zu unterstellen als Vaterliebe, allein dafür verdiente sie, nicht geliebt zu werden, und Hongbing hatte die Konsequenz gezogen und aufgehört, sie zu lieben, was also beklagte sie sich? Sie war schuld, dass die Maske seines Gesichts nicht geschmolzen, sondern geborsten war.
    Sie hatte alle enttäuscht.
    Eine Weile hing sie maulfaul in Joannas Atelier herum und sah zu, wie Tians schöne Frau fiebrigen Glanz in erschöpfte Teenageraugen zauberte, ein letztes Aufglimmen von Energie kurz vor dem Abschalten aller Systeme. Auf monströsen zweieinhalb mal vier Metern bildete sie Pigment gewordene Unbeschwertheit ab, zwei Zierfische im Flachwasser ihrer Befindlichkeiten, deren einzige Sorge dann bestand, wie man es schaffte, bis zur nächsten Party nicht vor Langeweile einzugehen. Als Yoyo klar wurde, dass die schlimmsten Gemetzel im Leben der beiden Grazien wohl jene waren, die sie in den Herzen pubertierender Bengel angerichtet hatten, weinte sie wieder ein bisschen.
    Wahrscheinlich tat sie auch diesen Mädchen unrecht. War sie denn besser? Keinen Exzess ausgelassen in den vergangenen Jahren. Der Augenblick, da man verging wie der schrumpfende, hellrote Punkt im Schwarz eines verkohlten Dochts, damit war sie vertraut. Unentwegt hatte sie gegen Hongbings Traurigkeit angesungen, angetanzt, angeraucht und angevögelt, ohne ein einziges Mal mit dieser wohltuenden Leere im Blick abzuschlaffen wie die Prinzessinnen der Nacht dort auf Joannas Tableau. Jedes Mal war ihr letzter Gedanke gewesen, dass es ein bisschen wie Sterben und die Exzesse das Sterben nicht wert waren, dass sie viel lieber zu Hause gesessen und zugehört hätte, was ihr Vater über die Zeit vor ihrer Geburt zu erzählen hatte, nur dass Hongbing nichts erzählte.
    Mit Schwung schuf Joanna Wimpern, drückte Brocken von Mascara hinein und verteilte Krümel verschwemmten Make-ups in Augenwinkel und auf Wangenknochen. Yoyo sah schwermütig zu. Sie mochte Joannas Koketterie mit der Gesellschaft, deren buntes Gefieder sie trug. Wie China sich amüsiere, sagte Joanna, könne man gar nicht groß genug darstellen, schließlich sei China ein großes Land, also erklärte sie ihren gefiederten Freunden, wann immer sie kamen, um ihre Schnäbel zu wetzen und am Champagner zu nippen, dass Mangel an Inhalt auf kleinen Formaten nicht darstellbar sei. Das klang witzig und weiterverwendbar, hübsch

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