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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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beweglich. Joanna badet dich derweil in Tee und krault dir die Zehen.«
    Jericho stellte sich Tu beim Versuch vor, agil und beweglich zu sein.
    »Und wenn wir Donner nicht antreffen?«, wollte er wissen.
    »Warten wir auf ihn.«
    »Was, wenn er nicht kommt.«
    »Fliegen wir wieder zurück.«
    »Und wer«, fragte er, von dunklen Ahnungen getrieben, »ist der Pilot?«
    Tu hob die Brauen. »Na, wer schon? Ich.«
     
    Wenige Kilometer weiter und etliche Meter höher schaute Xin auf die abendliche Stadt.
    Nachdem ein Stau den verdammten Kipplaster endlich auf Schritttempo heruntergezwungen hatte, war er abgesprungen, hatte die Metro nach Pudong genommen, da weit und breit kein freies COD zu ergattern gewesen war, die letzten paar hundert Meter zum Jin Mao Tower im Laufschritt zurückgelegt und wie von Sinnen die Halle durchquert, um dort einem überfallartigen Hunger auf Süßes zu erliegen. Im Foyer protzte eine Schokoladenboutique mit Pralinés zum Preis gehobenen Modeschmucks. Xin erstand eine Packung, die er während der Fahrt nach oben zur Hälfte plünderte. Schokolade, hatte er festgestellt, half ihm beim Denken. In seiner Suite angekommen, warf er die Kleidung von sich, eilte in das riesige Marmorbad, drehte die Dusche auf und rubbelte sich beinahe die Haut vom Fleisch im Bemühen, den Dreck Xaxus und den Makel seiner Niederlage abzuwaschen.
    Yoyo war ihm erneut entwischt, und dieses Mal hatte er nicht die geringste Ahnung, wo sie untergekommen sein mochte. Bei Jericho meldete sich nur der Anrufbeantworter. Von einer Woge des Hasses getragen erwog Xin, die Detektei in die Luft zu sprengen. Dann verwarf er den Gedanken. Rachsucht konnte er sich in seiner derzeitigen Situation kaum leisten, im Übrigen mangelte es ihm nach dem Desaster in Hongkou an passender Bewaffnung. Zudem, auch das war ihm klar, gab es keinen wirklichen Grund, jemanden dafür zu bestrafen, dass er sein gottgegebenes Recht auf Verteidigung in Anspruch genommen hatte.
    Gereinigt, in einen Kokon aus Frottee gehüllt und der Stadt wohltuend entrückt, versuchte Xin, Ordnung in den Hornissenschwarm seiner Gedanken zu bringen. Als Erstes sammelte er die herumliegenden Kleidungsstücke ein und verfrachtete sie in den Wäschesack. Dann warf er einen Blick in die verwüstete Pralinenschachtel. Gewohnt, den Verzehr jeglicher Speisen einem Masterplan zu unterwerfen, der vorsah, die Symmetrie des Gebotenen so lange wie möglich zu erhalten, schauderte Xin vor dem, was er angerichtet hatte. Meist aß er von außen nach innen. Nichts wurde über Gebühr dezimiert, das Verhältnis der Bestandteile zueinander blieb immer gewahrt. Undenkbar, nur eine Seite der Packung leer zu fressen! Doch genau das hatte er getan. Wie ein Tier, wie eine dieser denaturierten Kreaturen in Quyu war er darüber hergefallen.
    Er warf sich in den ausladenden Sessel vor der Glaswand und sah zu, wie die Dämmerung Shanghai kuvertierte. Die Stadt sprenkelte sich mit vielfarbigem Licht, trotz des lausigen Wetters ein beeindruckendes Schauspiel, doch Xin sah nur den Verrat an seinen ästhetischen Prinzipien. Jericho, Yoyo, Yoyo, Jericho. Die Verfehlungen in der Schachtel bedurften der Korrektur. Wo war Yoyo? Wo war der Detektiv? Wer hatte das silberne Flugmobil gesteuert? Die Schachtel, die Schachtel! Solange er dort nicht Ordnung geschaffen hatte, würde er geradewegs in den Wahnsinn driften. Er begann die restlichen Pralinen nach Rorschach-Manier umzusortieren, immer aufs Neue, bis eine Achse die Schachtel durchlief, ein stabiles, ordnendes Element, zu dessen beiden Seiten sich die verbliebenen Pralinés spiegelten. Danach war ihm wohler, und er zog Bilanz. Yoyo und dem Detektiv zu folgen ergab nicht länger Sinn. In wenigen Tagen würde ohnehin alles gelaufen sein, dann mochten sie reden. Sie waren nicht länger wichtig. Priorität hatte die Operation. Nur einer konnte dem Plan jetzt noch gefährlich werden. Xin fragte sich, welche Schlüsse Jericho aus dem Fragment jener Botschaft zog, die er selbst, Kenny Xin, an die Köpfe der Hydra geschickt hatte, nachdem er das Berliner Restaurant eines gewissen Andre Donner aufgespürt und umgehend dessen Liquidierung empfohlen hatte. Unglücklicherweise hatte er der Mail ein modifiziertes Entschlüsselungsprogramm angehängt, eine verbesserte, schnellere Version. Alle paar Monate waren die Schlüssel gegen neue ausgetauscht worden. Dass Yoyo ausgerechnet diese E-Mail abgefangen hatte, war größtmögliches Pech.
    Und nicht zu ändern.
    Andre

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