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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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schellen, doch nirgendwo war eine Privatadresse verzeichnet. Er wies den Hotelcomputer an, ihn um 10.00 Uhr zu wecken. Einmal mehr fürchtete er die Albtraumrevue der vergangenen Nacht zu erleben, unterbrochen von Phasen, in denen er seinen Augendeckel von innen anstarrte, stattdessen schlief er zwei Stunden lang tief und traumlos und erwachte in besserer Stimmung und voller Tatendrang. Auch Yoyo wirkte aufgeräumter. Sie schlenderten durch die Mall, erstanden Unterwäsche, Shirts und Zahnbürsten und kommentierten den Alltag um sie herum. Yoyo kaufte mehrere Flaschen Sprühkleidung. Es war heiß und sonnig in Berlin, sodass sie außer den paar Sachen nicht viel brauchten. Jericho vermied es, sie auf ihr Privatleben anzusprechen. Er wusste nicht recht, wie er mit dem Mädchen umgehen sollte, da es zur Abwechslung mal nichts zu recherchieren und vor nichts zu fliehen gab. Yoyo legte eine nahezu brüskierende Unbekümmertheit an den Tag, indem sie in knappen Oberteilen vor ihm herumtänzelte, ihn alle paar Minuten anfasste, hierhin und dorthin zog und ihm dabei so nahe kam, dass sich als einzige Erklärung ihr völliges sexuelles Desinteresse an seiner Person aufdrängte.
    Genauso ist es, pflichtete der pickelige Junge aus dem Halbschatten der Schulhofecke bei, dem Trost von Radiohead, Keane und Oasis anvertraut. So sind die Weiber, weil du für sie ein Ding bist und nichts, was Begierden äußern oder Absichten hegen könnte. Ein Zellkonglomerat, das einzig ins Leben gespuckt wurde, um Kumpel zu sein. Eher würden sie der erotischen Anziehungskraft ihres Teddybären erliegen, als auf die Idee zu kommen, dass du dich in sie verlieben könntest.
    Leck mich, sagte Jericho. Schwuchtel.
    Danach verzog sich das eiternde, von Bartrudimenten begraste Gespenst, und er gewann zunehmend Geschmack an Yoyos Gesellschaft. Dennoch war er froh, als der Zeiger gegen zwölf rückte und es Zeit wurde, in die Oranienburger Straße zu fahren. Das Muntu lag im Erdgeschoss eines schön sanierten Altbaus wenige hundert Meter vom Ufer der Spree entfernt, wo die Museumsinsel wie ein gestrandeter Riesenwal das Wasser teilte. Beinahe wären sie daran vorbeigelaufen – das winzige Restaurant zwängte sich lauernd zwischen eine Buchhandlung für Erweckungsliteratur und eine Filiale der Bank of Beijing, als wollte es vorbeieilende Passanten aus dem Hinterhalt anspringen. Tür und Fenster waren überspannt von einem rissigen Holzpaneel, auf dem in archaisch anmutenden Lettern MUNTU zu lesen stand, mit der Unterzeile Zauber westafrikanischer Küche.
    »Hübsch«, sagte Yoyo und trat ein.
    Jericho schaute sich um. Ockerfarbene und bananengelbe Wände, an den Fußleisten blau abgesetzt. Batikgemusterte Tischdecken, über denen Papierleuchten hingen wie riesige, glimmende Runkelrüben. Holzsäulen und Deckenbalken bemalt und mit Schnitzereien verziert. Die Stirnseite des quadratischen Raums wurde von einer rustikal gestalteten Bar dominiert, links davon führten folkloristisch gemusterte Flügeltüren in die Küche. Kriegerskulpturen, Speere, Schilde und Masken, wie man sie in vergleichbaren Etablissements vorfand, suchte man hier vergebens, ein wohltuender Mangel, der auf Authentizität schließen ließ.
    Nur wenige Plätze waren besetzt. Yoyo steuerte einen Tisch nahe der Bar an. Aus dem Halbschatten hinter dem Tresen löste sich eine Erscheinung und kam zu ihnen herüber. Die Frau mochte Anfang 40 sein, möglicherweise älter. Bei Afrikanerinnen stellte sich die Faltenbildung erst spät ein, was die Schätzung erschwerte. Ihr eng anliegendes Kleid war in kräftigen, erdigen Farben gehalten, aus einer Explosion von Rastalocken entfaltete sich ein passender Kopfputz. Sie war sehr dunkel und ziemlich attraktiv, mit einem Lachen, das den Kompromiss des Lächelns nicht zu kennen schien.
    »Ich heiß' Nyela«, sagte sie in gutturalem Deutsch. »Wollt ihr was trinken?«
    Yoyo blickte irritiert zu Jericho. Er setzte einen imaginären Becher an die Lippen.
    »Ach so«, sagte Yoyo. »Cola.«
    »Wie langweilig.« Augenblicklich wechselte Nyela ins Englische. »Schon mal Palmwein probiert? Gegorener Palmensaft aus Blütenkolben.«
    Ohne eine Zustimmung abzuwarten, verschwand sie hinter der Bar, kehrte mit zwei Bechern eines milchigen Getränks zurück und legte englische Speisekarten vor sie hin.
    »Das Straußenfilet ist aus. Bin gleich wieder da.«
    Jericho nahm einen Schluck. Der Wein schmeckte gut, kühl und etwas säuerlich. Yoyos Augen folgten Nyela zum

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