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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Vielleicht wird aus dem großen Nein bald ein kleines, mickriges und verzagtes Nein, aber wenigstens bleibt das Rudiment einer Position erhalten. In China musst du dir einfach ein Nein vorstellen, das aus ganz vielen Jas besteht. Als Deng Xiaoping beschloss, die Privatisierung in Ansätzen wieder zuzulassen, fragten sich manche, wie viel Privatisierung denn fortan erlaubt sei. Die Frage ist mittlerweile obsolet, weil es am Ende der Kommunismus war, der privatisiert wurde.« Er legte Messer und Gabel beiseite, nahm das Schnitzel zwischen die Finger und biss hinein. »Und darum, Owen, ist es einfacher, im Ausland an Informationen über einen chinesischen Konzern zu kommen, als in China. Um Interna über Zheng zu erhalten, reicht es, sich in den nachrichtendienstlichen Alltag aller Nationen einzuklinken, die Peking bespitzeln. Und da kenne ich zufällig ein paar Leute.«
    Jericho schwieg. Er wusste nicht, wen Tu alles kannte und an welchen Stationen seines Lebens er die Bekanntschaft von Geheimdiensten gemacht hatte, nur dass ihm die Vision einer Welt, in der Regierungen entweder konzernisiert oder Konzerne jeder staatlichen Kontrolle enthoben waren, selten so deutlich vor Augen gestanden hatte wie in diesem Augenblick.
    Wer war ihr Feind?
    Gegen zehn fühlte er sich müde und ausgelaugt, während Yoyo vorschlug, die einheimische Szene auf Exzessfähigkeit zu durchleuchten. Nervöse Ausgelassenheit hatte von ihr Besitz ergriffen. Tu verlangte es, den Kudamm zu sehen. Jericho verband sich mit Diane und entlockte ihr ein Verzeichnis angesagter Clubs und Karaoke-Bars. Dann empfahl er sich ins Hotel mit der Begründung, arbeiten zu müssen, was sogar der Wahrheit entsprach. Einige seiner Klienten hatte er in den vergangenen zwei Tagen sträflich vernachlässigt.
    Yoyo protestierte. Er solle mitkommen.
    Jericho zögerte. Im Grunde stand sein Entschluss fest, sich ins Hotel zurückzuziehen, doch plötzlich war er geneigt, ihr nachzugeben. Tatsächlich hatte ihr Protest zur Folge, dass ein bis dahin unentdeckter Akku zusätzliche Energie in sein System speiste. Eine Empfindung warmen, fließenden Öls durchströmte seinen Brustkorb.
    »Na ja, ich müsste eigentlich –«, sagte er der Form halber.
    »Okay. Dann bis später.«
    Der Akku krepierte. Die Welt entrückte in den nie endenden Winter seiner Adoleszenz, als man ihn nur darum zu Partys eingeladen hatte, damit es hinterher nicht hieß, man habe ihn vergessen. Er stellte sich vor, wie Yoyo ganz prima ohne ihn Spaß haben würde, so wie jeder damals ganz prima ohne ihn Spaß gehabt hatte.
    Wie er es gehasst hatte, jung zu sein.
    »Oder?«, fragte sie mit kalten Augen.
    »Viel Spaß«, sagte er. »Bis später.«
     
    Später, das war, als er nichts von dem erledigt hatte, weswegen er vorzeitig ins Hotel zurückgekehrt war. Als er dalag und sich fragte, an welchem Punkt seines Lebens er falsch abgebogen war, um fortan wie in einem Albtraum immer dorthin zu gelangen, wo er am wenigsten hingewollt hatte. Wie ein Flugreisender am Gepäckband, dessen Koffer verloren gegangen war und wahrscheinlich gerade am entgegengesetzten Ende der Welt in irgendeinem Auktionshaus den Besitzer wechselte, wartete und wartete er, zunehmend gewiss, dass sich Warten zum bestimmenden Merkmal seiner Existenz entwickeln könnte.
    Um kurz nach zwei, als er mit halbem Auge ein misslungenes 3-D-Remake des Tarantino-Klassikers Kill Bill verfolgte, klopfte es verschämt an der Zimmertür. Er rappelte sich hoch, öffnete und sah Yoyo im Flur stehen.
    »Kann ich reinkommen?«, fragte sie.
    Mechanisch schaute er zur Digitalanzeige der Videowand.
    »Danke.« Sie drückte sich an ihm vorbei und betrat auf nicht ganz sicheren Beinen sein Zimmer. »Ich weiß selbst, wie spät es ist.«
    Ihr Blick hatte etwas hundehaft Trauriges. Eine Zigarette qualmte zwischen ihren Fingern, außerdem war unübersehbar, dass sie reichlich gebechert hatte. Der Grad ihrer Derangiertheit ließ auf einen kleinen Wirbelsturm schließen, in den sie unterwegs geraten sein musste. Jericho bezweifelte, dass sie einen gelungenen Abend hinter sich hatte.
    »Was machst du gerade?«, fragte sie neugierig. »Viel gearbeitet?«
    »Geht so.«
    Jericho stand herum. Welchen Zweck hätte es gehabt, ihr zu erklären, dass er die vergangenen Stunden mit einem 18-Jährigen um die Vorherrschaft in seinem Körper gerungen hatte. »Und du? Gut amüsiert?«
    »Oh, großartig!« Sie drehte sich mit ausgebreiteten Armen um ihre Achse, was in Jericho den

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