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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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heftig zitternde Handfläche. Hastig presste sie beide zwischen die Lippen und spülte mit Wasser nach. Als sie den Kopf hob, starrte ihr das wüste Antlitz einer Gorgone entgegen, die Haare zu Schlangen geringelt, dass es sie nicht gewundert hätte, unter ihren eigenen Blicken zu versteinern. Unverändert hielt sie das Gefühl gefangen, ins Bodenlose zu stürzen. Das Zeug wirkte nicht, nicht schnell genug, sie stürzte weiter, dem Wahnsinn entgegen, sie würde wahnsinnig werden, wenn es nicht wirkte, wahnsinnig, wahnsinnig –
    Aufgelöst rannte sie in den Wohnraum, vergaß für einen Moment die geringe Schwerkraft, prallte heftig gegen die Wand und fiel auf den Rücken, praktischerweise dorthin, wo sie auch hingewollt hatte, wenngleich nicht auf diese Weise, aber egal. Da, die Minibar, direkt vor ihrer Nase. Cola, Wasser, Saft, alles raus, es muss eine Flasche Rotwein dahinter sein, oder noch besser der Whisky, die kleine Notration, die sie eingeschmuggelt hat, obwohl man auf dem Mond eigentlich keinen Alkohol, bla bla bla, runter damit, in einem Zug –
    Schmerzhaft ergoss sich der Bourbon in ihre Speiseröhre. Auf allen vieren kroch sie zurück ins Bad, während ihr Brustkorb erbebte von dem bevorstehenden Ausbruch, schaffte es eben noch bis vor die Toilette, zog sich über die Brille und spie alles in hohem Bogen wieder aus, Whisky, Tabletten und was immer ihr Magen enthalten hatte. Mit Hochdruck klatschte die Kotze vor ihr auf die Keramik und einiges davon zurück in ihr Gesicht. Wo waren die Tabletten? Säuerlicher Geruch stach in ihre Nase, trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie konnte nichts sehen. Sie würgte weiter, obschon es nichts mehr hervorzuwürgen gab, bis sie sich endlich aus dem Bann der Kloschüssel befreit hatte und daneben zerfloss. Wimmernd und reglos lag sie in Schweiß und Erbrochenem, starrte zur Decke – und bekam mit einem Mal wieder Luft.
    Tim. ISLAND-II hatte gesagt, sie solle mit Tim sprechen. Wo war er? Beim Dinner? Ob sie schon angefangen hatten? Zwanzig nach acht, dumme Kuh, klar haben sie angefangen, kleiner Gruß aus der Küche, Schnick und Schnack an Schaum und Essenz von ganz gleich welchem Scheißdreck, er würde ihr doch wieder hochkommen, aber sie musste hin, konnte schließlich nicht ewig hier liegen bleiben, bis einer die Tür aufbrach.
    Angst ist ein körperliches Phänomen.
    Genau, neunmalkluge Maschine, oh Sokrates!
    Die körperliche Zusammenziehung, Lynn, ist der Grund, warum du deinen Gedanken eine so übersteigerte Bedeutung beimisst, dass sie dich überhaupt erst in die Hölle schicken können.
    Vorsichtig setzte sie sich auf. Ihr Schädel dröhnte. Sie fühlte sich, als sei sie ein Jahr lang in der Saharasonne vor sich hin getrocknet, aber ihr Verstand funktionierte wieder, und die hart angerissenen Saiten ihrer Nerven schwangen langsam aus. Greisenhaft rappelte sie sich hoch und betrachtete sich im Spiegel.
    »Gott, siehst du scheiße aus«, murmelte sie.
    Sobald es dir gelingt, dich zu entspannen, durchbrichst du den Teufelskreis. Je intensiver du dich spürst, desto weniger können dich deine Gedanken quälen.
    Na schön. Dann mussten sie den ersten Gang eben ohne sie essen. Was sie da im Spiegel erblickte, war mit ein bisschen Rouge nicht zu retten. Sie würde renovieren müssen, gewissermaßen, aber auch das würde ihr glücken. Pünktlich zum Hauptgang würde sie im Selene erscheinen, strahlend schön, die Königin aller Verstellung.
    Ein Sukkubus im Gewand eines Engels.
     

BERLIN, DEUTSCHLAND
     
    Tu bestand auf einem Abendprogramm, nachdem er an alle möglichen Leute Nachrichten verschickt hatte in der Hoffnung, Insiderwissen über die Zheng Group zu erlangen. Einige Adressaten lagen um diese Zeit noch in ihren Shanghaier und Pekinger Betten, mit anderen in Amerika sprach er oder bat um Rückruf. Unterm Strich, ließ er verlauten, sei jede amerikanische Information über Zheng einer chinesischen vorzuziehen.
    »Warum das?«, fragte Jericho, als sie im legendären Borchardts riesige Wiener Schnitzel serviert bekamen.
    »Warum?« Tu hob die Brauen. »Amerika ist unser bester Freund!«
    »Stimmt«, bestätigte Yoyo. »Wenn wir Chinesen etwas über China erfahren wollen, fragen wir die Amerikaner.«
    »Schöne Freunde«, bemerkte Jericho. »Vor eurer Freundschaft erzittert die ganze Welt.«
    »Ach, Owen, komm. Wirklich.«
    »Im Ernst! Hast du nicht selbst von der lunaren Kubakrise gesprochen?«
    Tu hob mit der Messerspitze den Rand seines

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