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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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tellerüberbordenden Schnitzels an und lugte misstrauisch darunter, als sei dort eine Erklärung zu finden, warum Europäer ihr Fleisch nicht in mundgerechte Stücke schnitten. Lieber wäre er in ein chinesisches Restaurant gegangen, hatte jedoch vor einem zweistimmigen »Das kann ja wohl nicht wahr sein!« kapitulieren müssen.
    »Doch«, sagte er. »Und mir war ebenso mies zumute wie dir. Aber man muss sich ins Gedächtnis rufen, dass China und Amerika gar keinen Krieg führen können. Sie sind Zwillinge der Weltwirtschaft, verfeindet, aber siamesisch. Erzfeinde machen traditionell die besten Geschäfte miteinander, es bringt Vorteile, seinen Geschäftspartner nicht zu mögen. Sympathie ist eine Tinktur zum Aufweichen von Verträgen, Abneigung schärft die Sinne, also treibt China äußerst erfolgreich Handel mit den Nationen, die es am wenigsten mag, nämlich mit den Vereinigten Staaten von Amerika und mit Japan. Würde ich wiederum etwas über Amerika wissen wollen, würde ich natürlich den Zhong Chan Er Bu kontaktieren.«
    »Das sind Binsenweisheiten.« Jericho begann zu essen. »Dass Bürger totalitärer Regimes am meisten über sich in Erfahrung bringen, wenn sie bei denen nachfragen, deren Job es ist, sie auszuspionieren. Hier geht es um was anderes. Auch die Amerikaner können nicht in den Kopf von Zheng Pang-Wang schauen.«
    »Richtig. Dennoch bietet es sich an, die CIA und die NSA zu fragen, wenn du etwas über ihn erfahren willst. Oder meinethalben den Bundesnachrichtendienst, den SIS, die Sluschba Wneschnei Raswedki, den Mossad, den indischen Geheimdienst. Du bist Detektiv, Owen, deine Philosophie ist die Infiltration. Deren auch. Allerdings hat man festgestellt, dass es mitunter leichter ist, Regierungen zu infiltrieren als Konzerne.« Tu beträufelte sein Wiener Schnitzel mit Zitrone. Er trug dabei eine Miene zur Schau, als könne das Fleisch ob der Behandlung vom Teller springen und nach draußen entwischen. »Du hast vorhin gesagt, Orley Enterprises und die USA, das liefe aufs selbe hinaus. Tut es. Allerdings nur insofern, als Orley den Amerikanern die Parameter ihrer Raumfahrt diktiert. Das wollen sie natürlich nicht hören. Sie hassen die Vorstellung, aber tatsächlich sind die USA vollkommen abhängig von Orley. Ihre Raumfahrt, ihr ganzes Energiekonzept hängt am Tropf des größten Technologiekonzerns der Welt, genauer gesagt an Julian Orleys Geld und am Know-how seiner fähigsten Mitarbeiter. Insofern ist Orley vielleicht identisch mit Amerikas Raumfahrt, aber Washington ist keineswegs identisch mit Orley. Wenn du alles über die Pläne der amerikanischen Regierung weißt, weißt du noch lange nichts über Orley Enterprises. Das Unternehmen ist eine Festung. Ein Paralleluniversum. Ein Staat außerhalb aller Grenzen.«
    »Und Zheng?«
    »Da läuft es anders. Amerikas Präsidenten mögen der Öl-, Eisen- und Waffen-Lobby verpflichtet gewesen sein, allerdings waren sie nie ganz damit identisch. Einfach darum, weil Konzerne in demokratischen Ländern ihrem Wesen nach privat sind. In China hingegen wurzeln sie historisch im Staat, machen aber, was sie wollen.«
    »Die Partei hätte demnach ihre Macht an die Konzerne verloren?«, fragte Jericho. »Das sollte mich wundern.«
    »Quatsch.« Yoyo schüttelte den Kopf. »Machtverlust bedeutet, dass dich jemand verdrängt, um an deiner statt zu herrschen. Trotzdem bist du noch da, etwa in der Opposition. Aber in China hat keine Verdrängung stattgefunden, sondern eine einhundertprozentige Transformation, eine Metamorphose. Für jeden Altkommunisten, der den Löffel abgab, ist jemand gekommen, der zwar brav das Parteibuch in der Tasche trug, außerdem aber einen Führungsposten in einem profitorientierten Unternehmen innehatte.«
    »Das ist in Amerika nicht so viel anders.«
    »Doch. An Orley Enterprises hat Washington Macht verloren, worüber sich die Regierung an verregneten Tagen ärgern mag, aber wenigstens ist noch jemand da, der sich ärgert. In China gibt es keine staatlichen Institutionen mehr, die sich ärgern könnten. Das Ganze heißt zwar immer noch Kommunismus, ist aber ein Konzernkonsortium mit selbst verliehenem Regierungsmandat.«
    »Du kannst es auch andersrum betrachten«, sagte Tu, als moderierten sie gemeinsam ein Politmagazin. »China wird regiert von Managern, die einen Zweitjob in der Politik bekleiden. In der westlichen Welt gibt es immer noch vereinzelt Staatsoberhäupter, die Nein sagen, wenn die Privatwirtschaft Ja sagt.

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