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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Hemdsärmel auf, strich sein glattes, dunkles Haar zurück und folgte dem Straßenverlauf zügig, aber ohne Hast. Der Verkehr brauste an ihm vorbei. In einiger Entfernung sah er einen weiteren Gyrokopter, aber nachdem er kaum noch der Beschreibung des Mannes entsprach, den die Polizisten jagten, fühlte er sich einigermaßen sicher. Er widerstand dem Impuls, schneller zu gehen. Nach zehn Minuten erreichte er die Bahnhofshalle, zog mit einer seiner Karten Geld an einem Automaten, fand ein Geschäft für Freizeitbekleidung und erstand unter den verwunderten Blicken einer über und über mit Applikationen geschmückten Verkäuferin Jeans, Turnschuhe und T-Shirt. Was er gekauft hatte, behielt er an, bat die Verkäuferin um eine Plastiktüte, bezahlte in bar, stopfte das durchnässte Zeug in die Tüte, entsorgte sie in einem der öffentlichen Mülleimer und ließ sich mit einem Taxi ins Hotel Adlon fahren.
     

JERICHO
     
    In seiner Erinnerung lag das Hyatt südlich des Tiergartens, doch dann ging er zwischen Gabelwegen und Entenweihern seiner Orientierung verlustig und irrte von einer Ausflügleridylle zur nächsten. In vager Entfernung vernahm er Straßengeräusche. Unnatürlich grell schien die Sonne auf ihn herab. Übelkeit erfasste ihn, Stiche durchfuhren seinen Brustkorb, Schmerz breitete sich von der Schulter in seinen linken Arm aus. Himmel, Bäume und Menschen wurden in einen roten Tunnel gesaugt. Fühlte sich so ein Herzinfarkt an? Mit wachsweichen Knien stolperte er in ein Gebüsch und erbrach sich. Danach ging es ihm besser, und er schaffte es bis zur Hauptstraße. An einer Kreuzung erkannte er mehrere Gebäude wieder, sah eine Skulptur von Keith Haring und wusste, dass das Grand Hyatt um die Ecke lag. Er hätte schwören können, Stunden in dem Park verbracht zu haben, doch als er auf die Uhr sah, stellte er fest, dass seit seinem Crash am Brandenburger Tor allenfalls fünfzehn Minuten verstrichen sein konnten. Es war kurz vor halb eins.
    Er rief Tu an.
    »Wir sind oben bei dir. Yoyo und ich –«
    »Bleibt da. Ich komme hoch.«
    Nachdem Diane in Jerichos Zimmer residierte, hatten sie den Raum kurzerhand zur Zentrale erklärt, um sich dort weiteren Recherchen und Entschlüsselungsversuchen zu widmen. Im Fahrstuhl gewann sein Denken die eigentümliche Klarheit der Selbstbeobachtung. Selten hatte er sich so ratlos erlebt. So unvermögend. Nyela war schon so gut wie in Sicherheit gewesen, dennoch hatte er sie verloren.
    »Was ist passiert?« Tu sprang auf und kam ihm entgegen. »Ist alles –«
    »Nein.« Jericho griff in sein Blouson, förderte die Geldpacken zutage und warf sie aufs Bett. »Hier hast du dein Geld zurück. So weit die gute Nachricht.«
    Tu nahm einen der Packen in die Hand und schüttelte den Kopf.
    »Das ist keine gute Nachricht.«
    »Ist es auch nicht.« In knappen Sätzen schilderte er, wie sich die Dinge entwickelt hatten. Um Sachlichkeit bemüht, schaffte er es, die Erzählung nur umso grausiger klingen zu lassen. Yoyo wurde mit jedem Wort fahler.
    »Nyela«, flüsterte sie. »Was haben wir da bloß angerichtet?«
    »Gar nichts.« Er fuhr mit den Händen durch sein Gesicht, müde und mutlos. »Es wäre so oder so passiert. Allenfalls haben wir ihr Leben um ein paar Minuten verlängert.«
    »Kein Dossier.« Ihr Blick verfinsterte sich. »Alles umsonst.«
    »Nyela zufolge muss er es bei sich getragen haben!« Jericho trat ans Fenster und starrte hinaus, ohne etwas zu sehen. »Vogelaar hat uns an Xin verraten, aber er hat auch versucht, das Blatt zu wenden. In letzter Sekunde, was immer ihn dazu bewogen hat. Er wollte, dass ich dieses Dossier bekomme.«
    »Verdammter Mist.« Tu schlug eine Faust in die Handfläche. »Und Nyela ist sich ganz sicher –«
    »War, Tian. War.«
    »– dass er es mit sich führte? Sie hat ausdrücklich gesagt –«
    »Sie hat gesagt, Kenny habe das Original in seinen Besitz gebracht.«
    »Den Gedächtniskristall.«
    »Ja. Aber offenbar existiert ein Duplikat.«
    »Das Vogelaar mit ins Museum bringen wollte?«
    »Augenblick mal.« Yoyo runzelte die Stirn. »Das bedeutet, dass er es immer noch bei sich hat.«
    »Irrelevant.« Jericho presste zwei Finger gegen die Stirn. Sie waren endgültig in einer Sackgasse angelangt. »Die Polizei wird es einkassiert haben. Aber gut, das nimmt uns jede weitere Entscheidung ab. Von jetzt an ist Schluss mit den Alleingängen. Ich schätze, den hiesigen Behörden können wir vertrauen, also –«
    Er stockte.
    Wie durch Watte

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