Limit
vor ihm zur Brücke spannte, bog rechts ab und fand sich am Spreeufer wieder. Sofern ihn sein Richtungssinn nicht trog, führte dieser Weg zurück zur Museumsinsel. Keine gute Idee, dort aufzukreuzen, wo es von Polizisten mittlerweile nur so wimmeln dürfte. Von hinten hörte er das trockene Knattern des Fluggefährts, plötzlich über sich, vor sich. Der Gyrokopter stieß herab und zwang ihn zur Vollbremsung. In einer halsbrecherischen Kurve wendete er und raste in entgegengesetzte Richtung davon, nur um eine weitere Polizeimaschine zu erblicken, die über der Kuppel des Reichtagsgebäudes hing, scheinbar reglos. Dann kam sie mit hoher Geschwindigkeit heran.
Sie nahmen ihn in die Zange.
Xin prügelte die Maschine vorwärts, dem Reichstag entgegen, den Fluss zu seiner Rechten. Touristen bevölkerten geschwungene Freitreppen, die Promenade verbreiterte sich. Regierungsarchitektur säumte die Ufer, Glas und Stahl, konterkariert von zierlichen Bäumchen mit sittsam gestutzten Hauben. Glaskuppelschiffe dümpelten die Spree entlang, die weiter vorne einen Bogen beschrieb und unter einer luftigen Fußgängerbrücke hindurchführte.
Über allem die beiden Gyrokopter.
Xin hielt auf die Brücke zu. Vor seinen Augen spritzte eine Gruppe Jugendlicher auseinander. Er drehte auf, stellte sich aufs Hinterrad, holte heraus, was herauszuholen war, schoss über die Kante. Einen Moment lang schwebte das Motorrad über dem Wasser, die Spree eine gläserne Skulptur, hingen die Gyrokopter wie festgenagelt am Himmel. Xin registrierte eine wohltuende Brise auf seiner Haut, eine Ahnung, wie es wäre, ein ganz anderes Leben zu leben, doch es stand kein anderes zur Disposition.
Er nahm die Hände vom Lenker.
Die Oberfläche zerplatzte in Kaleidoskopen, Wasser toste in seinen Ohren. So schnell wie möglich versuchte er von der versinkenden Maschine wegzukommen. Das Vorderrad schlug gegen seine Hüfte. Er ignorierte den Schmerz, kam hoch, pumpte seine Lungen voll Luft und tauchte gleich wieder ab, tief genug, dass sie ihn aus der Luft nicht sehen konnten. Mit kräftigen Zügen strebte er der Mitte des Flusses zu, über sich das Wummern eines der Glaskuppelboote. Er war darauf trainiert, lange unter Wasser zu bleiben, irgendwann allerdings würde er auftauchen müssen, und er hatte es mit zwei Gyrokoptern zu tun. Sie würden sich aufteilen, flussabwärts und flussaufwärts nach ihm Ausschau halten. Im Wechselspiel der Reflexe sah er den dunklen Leib des Touristenschiffs über sich hinwegziehen und strebte mit heftigem Schlagen seiner Beine nach oben. Unmittelbar neben dem Rumpf stieß sein Kopf über die Oberfläche. Das Schiff lag tief im Wasser, sodass er eine der Streben unterhalb der Fensterfronten zu packen bekam. Er rutschte ab, griff erneut zu, klammerte sich fest und spähte in den Himmel, der zu Teilen von den Aufbauten des Spreedampfers verdeckt wurde.
Einer der Gyrokopter kreiste über der Stelle, an der er versunken war. Den anderen hörte er, ohne ihn zu sehen. Im nächsten Moment tauchte er direkt über dem Schiff auf, und Xin ließ sich erneut unter Wasser gleiten, ohne die Verstrebung loszulassen. So lange wie möglich hielt er die Luft an. Als er wieder einen Blick riskierte, unterquerten sie eben die Brücke.
Die Maschine entfernte sich.
Eine Weile noch ließ er sich von dem Schiff mitziehen, dann stieß er sich ab, schwamm zum Ufer und zog sich hoch. Vor seinen Augen erstreckte sich eine betonierte Böschung, gleich dahinter führte eine befahrene Straße entlang. Soweit er sehen konnte, setzten die Polizisten ihre Suche jenseits der Brücke fort. Er tastete nach der Perücke, doch sie war am Grund der Spree geblieben. Rasch zupfte er den falschen Bart ab, schälte sich aus der Anzugjacke, ließ alles im Wasser zurück und kroch tropfnass an Land. Auch die Waffe war verloren gegangen, dafür hatte er sein Handy, gottlob wasserfest, retten können. Beruhigend spannte sich der Körpergurt mit den Kreditkarten und dem Gedächtniskristall um seine Taille. Xin führte grundsätzlich Kreditkarten mit sich, auch wenn sie als veraltet galten und Käufe über die ID-Codes von Handys geführt wurden, doch er mochte sich beim Kauf von Kleidung nicht registrieren lassen.
Nicht weit von ihm verlief eine Hochtrasse für Schnellzüge. Sein Blick suchte die Straße ab. In weitem Bogen führte sie zu einem Glaskuppelbau, Nukleus einer Ansammlung glitzernder Hochhäuser, augenscheinlich der Berliner Hauptbahnhof. Er rollte die
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