Limit
auf, die nicht stimmten, Asymmetrien, proportionale Missverhältnisse, Wucherungen im Design, ein ärgerliches Blumengesteck. Das schmale Talent des Floristen hatte nicht ausgereicht, der Anordnung Sinn zu verleihen, etwa indem die Anzahl der Blüten durch die der Blütenblätter teilbar gewesen wäre und das Machwerk solcherart seinen Selbstbezug erfahren hätte. Mangels einer in sich zurückführenden Idee, ohne dass die vermeintlich ästhetische einer wie auch immer codierten strukturellen Funktion entsprach, haftete dem Gesteck etwas bedrohlich Planloses an, Xins Albtraum schlechthin. Die bloße Vorstellung, sein Handeln nicht begründen zu können, war schlichtweg entsetzlich! Unwillig wählte er eine andere Nummer, hielt das Handy mit der Linken, während die Finger der Rechten die Blumen umsteckten und das Arrangement zu korrigieren versuchten. »Hydra«, sagte er.
»Wie umfangreich ist das Dossier?«, fragte die Stimme.
»Ich hatte noch keine Gelegenheit, es zu lesen.« Xin zupfte an einer Lilie. »Was geschehen ist, tut mir leid. Natürlich übernehme ich die volle Verantwortung, aber mehr, als Vogelaar mit Folter und Tod zu bedrohen, konnten wir nicht tun. Er muss eine Kopie des Dossiers an Jericho weitergegeben haben.«
»Sie trifft keine Schuld«, sagte die Stimme. »Entscheidend ist, dass die Blockade steht. Was schlagen Sie vor?«
»Umdisponieren. Jericho, Tu und Yoyo aus dem Fokus nehmen. Mit ihrem Tod ist uns nicht länger gedient, und die Geschehnisse auf dem Mond können wir nicht beeinflussen. Ich bin unverändert der Überzeugung, dass die Operation ein voller Erfolg wird. Jetzt kommt es darauf an, Hydras Anonymität zu sichern.«
»Sind wir einer Meinung, was die Schwachpunkte betrifft?«
»Aus meiner Sicht gibt es nur den, über den wir schon gesprochen haben.«
»Das sehe ich genauso.«
Xin betrachtete das Arrangement. Nicht wirklich besser, immer noch ohne jeden semiotischen Gehalt. »Ich nehme die nächste Maschine nach London.«
»Sind Sie dort hinreichend ausgestattet?«
»Airbike und alles. Bei Bedarf kann ich Verstärkung hinzuziehen.«
»Gudmundsson ist beschäftigt, das wissen Sie.«
»Mein Netz ist weit gespannt. Ich könnte Legionen in Marsch setzen, aber das wird nicht nötig sein. Ich halte mich vor Ort bereit, das sollte reichen.«
»Informieren Sie mich über die Eckdaten des Dossiers. Nachdem wir die Mail-Kommunikation eingestellt haben, können Sie es mir ja leider nicht mehr schicken.«
»Dennoch war es richtig, die Seiten aus dem Netz zu nehmen.«
»Ich höre von Ihnen.«
Xin verharrte.
Dann schleuderte er das Handy aufs Bett und wütete mit wachsendem Zorn in Orchideen, Lilien und Krokussen. Er musste Berlin schnellstmöglich verlassen, doch nicht einmal dieses Zimmer konnte er verlassen, solange das Arrangement nicht einer befriedigenden Strukturierung unterworfen war. Die Welt war nicht willkürlich. Nicht planlos. Alles musste einen Sinn ergeben. Wo der Sinn endete, begann der Wahn.
Der Kopf einer Lilie brach ab.
Bebend vor Wut riss Xin das komplette Arrangement aus seiner Schale und stopfte es in den Müll.
GAIA, VALLIS ALPINA, MOND
Lynn hatte entschieden, die unterirdisch gelegenen Trakte des Gaia zusammen mit Thiel abzusuchen. Tim ahnte den Grund dafür. Sie scheute die Auseinandersetzung mit ihm, weil sie sehr genau wusste, dass sie ihm nicht länger etwas vormachen konnte. Noch gelang es ihr, sich selber zu belügen. Ihr Verhalten oszillierte zwischen Momenten völliger Klarheit, Unsachlichkeit und eruptiver Wut. jene abgrundtiefe, nachtschwarze Angst wohnte wieder in ihrem Blick, die sie vor Jahren beinahe umgebracht hätte, und noch etwas anderes meinte Tim darin zu erkennen, etwas unbestimmt Heimtückisches, das ihn zutiefst erschreckte. Während er zusammen mit Axel Kokoschka, dem Koch, das Casino durchstöberte, pendelte seine Sorge von ihr zu Amber, die in Gesellschaft eines mutmaßlichen Terroristen unterwegs war. Julian hatte die Information auf einer geschützten Frequenz erhalten, doch wie hatte er reagiert? Peter Black war bei ihm. Hatten sie Carl gemeinsam dingfest gemacht?
Was geschah jetzt gerade auf dem Aristarchus-Plateau?
Amber, dachte er, meldet euch! Bitte!
Der mehrgeschossige Untergrund des Gaia verdiente nach Lawrences Einschätzung besondere Aufmerksamkeit, weil eine Bombe von hier aus die größte Zerstörungskraft entfesseln würde. Michio Funaki und Ashwini Anand hatten sich den Wohntrakt des Personals
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