Limit
zu übertönen.
»Kommen Sie schon, Dana«, polterte er. »Was ist hier los? Was verschweigt ihr uns?«
»Ein Satellitenausfall ist nichts Schlimmes, Mr. Donoghue.«
»Chuck.«
»Chuck. Zum Beispiel kann ein sandkorngroßer Minimeteorit einen Satelliten vorübergehend lahmlegen, und das LPCS –«
»Aber ihr braucht das LPCS doch gar nicht. Armstrongs Bande hatte doch auch kein LPCS.«
»Ich kann Ihnen versichern, dass der technische Defekt in Kürze behoben sein wird. Das dauert ein bisschen, aber bald sprechen wir wieder mit der Erde wie eh und je.«
»Komisch nur, wo sie alle bleiben«, sagte Aileen.
»Gar nicht.« Lynn lächelte bemüht. »Ihr kennt doch Julian. Er hat mal wieder ein Riesenprogramm aufgestellt. Er meinte schon heute Morgen, dass sie sich wohl verspäten würden. – Da fällt mir ein, habt ihr eigentlich das Rillensystem zwischen Mare Tranquillitatis und Sinus Medii gesehen? Müsstet ihr eigentlich, als ihr zur Rupes Recta geflogen seid.«
»Ja, die sehen aus wie Straßen«, sagte Hsu, und das Pfeifen im Walde nahm seinen Fortgang.
Olympiada starrte vor sich hin. Winter bemerkte ihre Katatonie, hörte auf, den Zuckerrand von ihrem Strawberry Daiquiri zu lecken, rückte näher und legte einen sonnengebräunten Arm um die schmalen, hängenden Schultern.
»Keine Sorge, Schatz. Du kriegst ihn noch früh genug zurück.«
»Ich fühl mich so schäbig«, antwortete Olympiada leise.
»Wieso denn schäbig?«
»So elend. So mies. Wenn man unbedingt mit jemandem sprechen will, den man verabscheut, nur weil sonst keiner da ist. Das ist erbärmlich.«
»Aber du hast doch uns!«, raunte Winter und drückte der Russin ein Siegel der Verschwesterung auf die Schläfe. Dann erst schien sie zu kapieren, was Olympiada gerade gesagt hatte. »Wen meinst du denn mit verabscheuen? Doch nicht Oleg?«
»Wen denn sonst?«
»Huch! Du verabscheust Oleg?«
»Wir verabscheuen einander.«
Winter bedachte diese Worte. Nacheinander versuchte sie sich an einer Kollektion passend erscheinender Mimik, Verwunderung, Nachdenklichkeit, Verständnis, Begriffsstutzigkeit, studierte die äußere Erscheinung der Russin, als nähme sie diese zum allerersten Mal wahr. Olympiadas Abendgarderobe, ein je nach Stimmungslage seiner Trägerin farbwechselnder Catsuit aus Mimi Parkers Beständen, hing an ihr wie über eine Stuhllehne geworfen, Kajal und Schminke wetteiferten in der Spurenbeseitigung jahrelanger Vernachlässigung und ehelichen Leids. Die Frau hätte weit besser aussehen können. Etwas Botox in Wangen und Stirn, Hyaluronsäure zur Glättung der Grabesfalten um die Mundwinkel, hier und da ein kleines Implantat zur Straffung von Selbstbewusstsein und Bindegewebe. Bei der Gelegenheit beschloss sie, gleich nach ihrer Rückkehr die Implantate in ihrem eigenen Gesäß auswechseln zu lassen. Irgendwas stimmte da nicht, wenn man zu lange drauf saß.
»Warum verlässt du ihn nicht einfach?«, fragte sie.
»Warum verlässt eine Fußmatte nicht die Haustür, vor der sie liegt?«, sinnierte Olympiada.
Ach du dickes Ei! Winter war verblüfft. Natürlich fand sie sich selbst unwiderstehlich in ihrer prallen Pracht, aber musste man wirklich wie eine fitnessgestählte Walküre aussehen, um von solchen Gedanken verschont zu bleiben, wie Olympiada sie wälzte?
»Hör mal«, sagte sie. »Ich glaube, du machst einen Fehler. Einen richtig fetten Denkfehler.«
»Ach ja?«
»Ja. Du findest dich schäbig, weil du glaubst, dich will keiner haben, also lässt du dich schäbig behandeln, bloß um überhaupt behandelt zu werden.«
»Hm.«
»Aber in Wirklichkeit will dich keiner haben, weil du dich schäbig fühlst. Verstehst du? Andersrum. Kasialisch, kausalisch, oder wie das heißt, also, dieses Ding mit Ursache und Wirkung, ich bin nicht so protzgebildet, aber ich weiß, dass es so funktioniert. Man denkt, die anderen finden einen kacke, und darum findet man sich selber kacke und sieht kacke aus, was dazu führt, dass die anderen Kacke zu sehen bekommen, und so schließt sich der Kreis, mach ich mich verständlich? So eine Art innere – Vorverurteilung. Weil du selber nämlich dein größter, ähm – Feind bist. Und weil du's auch irgendwie genießt. Du willst leiden.«
Ui, das klang gut! Wie an der Uni gewesen.
»Meinst du?«, fragte Olympiada und sah Winter aus trüben Novemberpfützen an.
»Klar!« Das gefiel ihr, richtig psychologisch wurde das. So was sollte sie viel öfter machen. »Und weißt du auch, warum du leiden
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