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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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sich um die eine oder andere Stunde verspäten.
    Wie Lynn das wissen könne ohne Satellitenverbindung?
    Also gut, sie wisse es nicht. Julian habe schon gegen Morgen von der Möglichkeit einer ausgedehnten Wanderung ins Hinterland von Snake Hill gesprochen und eine verspätete Rückkehr angekündigt. Kein Grund zur Sorge. Es sei gewiss alles in Ordnung.
    In Ordnung. Ha, ha.
    Hedegaard starrte dumpf vor sich hin. Es war vielleicht in Ordnung, die Gäste zu bescheißen, aber doch bitte nicht sie. Sie hätte sich eben nie mit dem reichsten alten Knacker der Welt einlassen dürfen. So einfach war das. Höchste Zeit, eiskalt zu duschen und im Pool ein paar Bahnen zu ziehen.
     
    »Doch, es hat schon was Weihevolles«, fand Ögi. »Natürlich nur, wenn man es transzendiert.«
    »Wenn man es was?«, lächelte Winter.
    »Wenn man das unmittelbar Wahrnehmbare zu seiner Bedeutung aufsummiert, meine Liebe«, erklärte Ögi. »Schwierigste Übung heutzutage. Manche nennen es Religion.«
    »Eine umgekippte Flagge? Ein altes Landegestell?«
    »Ein altes Landegestell und die, für sich betrachtet, wenig erquicklichen Hinterlassenschaften zweier Männer in einer langweilig anmutenden Gegend des Mondes – aber sie waren die ersten Menschen überhaupt, die ihn je betreten haben! Verstehst du? Das verleiht dem kompletten Mare Tranquillitatis eine – eine –«
    Ögi rang nach Worten.
    »Sakrale Würde?«, schlug Aileen Donoghue leuchtenden Auges, mit Kirchgängertimbre, vor.
    »Genau!«
    »Aha«, sagte Winter.
    »Muss man an Gott glauben, um das so zu empfinden?« Rebecca Hsu fischte eine kandierte Kirsche aus ihrem Drink, spitzte die Lippen und saugte sie ein. Ganz leise machte es Flutsch. »Ich fand's einfach bedeutsam, aber sakral –«
    »Weil du keine sakrale Tradition hast«, teilte Chucky ihr mit. »Deine Leute, meine ich. Dein Volk. Chinesen sind nicht sakral.«
    »Danke, dass du mich dran erinnerst. Jetzt weiß ich wenigstens, warum ich die Rupes Recta lieber mochte.«
    Man hatte sich zu kommunikativen Lockerungsübungen im Mama Killa Club versammelt und versuchte, seiner Sorge über das Ausbleiben der Ganymed Herr zu werden, indem man den Tag lautstark Revue passieren ließ. Im westlichen Mare Tranquillitatis hatten sie das Landegestell der allerersten Mondfähre bewundert, mit der Armstrong und Aldrin 1969 auf dem Trabanten gelandet waren. Die Gegend galt als Kulturschutzgebiet, mitsamt drei kleinen Kratern, benannt nach den Pionieren und dem dritten Mann, Collins, der im Raumschiff hatte verbleiben müssen. Schon im Anflug, aus großer Höhe, hatte das Museum, wie die Region allgemein genannt wurde, die ganze Banalität des Menschheitsaufbruchs offenbart. Klein und parasitär, wie eine Mücke auf der Haut eines Elefanten, klebte das Gestell am Regolith, und Armstrongs berühmter Stiefelabdruck prangte unter einem gläsernen Kasten. Ein Ort für Pilger. Zweifellos gab es prachtvollere Kathedralen, und doch hatte Ögi recht, wenn er etwas in all dem erspürte, was der menschlichen Rasse Bedeutung und Größe beimaß. Es war die Gewissheit, nicht hier stehen zu können, wenn diese Männer damals nicht den Weg durch die luftleere Wüste auf sich genommen und das Wunder der Landung vollbracht hätten, letzten Endes also Ehrfurcht. Später am Nachmittag, im Angesicht der endlos scheinenden Wand Rupes Recta, die den Eindruck erweckte, als setze sich der komplette Mond auf einem 200 Meter höheren Level fort, hatten sie die Erhabenheit kosmischer Architektur auf sich wirken lassen, zutiefst beeindruckt zwar, ohne jedoch die eigenartig berührende Kraft zu verspüren, die von den kümmerlichen Memorabilien menschlicher Präsenz im Mare Tranquillitatis ausging. Die meisten von ihnen hatten in diesem Moment begriffen, dass sie keine Pioniere waren. Einem Pionier sagte niemand Hallo. Ihn begrüßten kein schäbiges Gestänge, kein Stiefelabdruck, nur Einsamkeit und Unvertrautheit.
    Lynn Orley und Dana Lawrence legten großes Bemühen an den Tag, den munteren Plausch in Gang zu halten, bis Olympiada Rogaschowa ihr Glas abstellte und sagte:
    »Ich würde jetzt gerne mit meinem Mann sprechen.«
    Die anderen verstummten. Klamme Betroffenheit legte sich über die Runde. Soeben hatte sie eine unausgesprochene Vereinbarung gebrochen, nämlich sich keine Sorgen zu machen, doch irgendwie schienen alle froh darüber zu sein, hauptsächlich Chuck, der schon drei miserable Witze hatte erzählen müssen, nur um seinen bedrohlich grummelnden Bauch

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