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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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willst? Weil du Bestätigung suchst! Denn du findest dich ja, wie wir gesehen haben –« Wortschatz, Miranda, Wortschatz! Nicht immer nur kacke, wie sagte man noch? »Scheiße. Du findest dich scheiße, sonst nichts, aber scheiße sein ist immerhin besser als gar nichts sein, und wenn dich jetzt jemand anderer auch scheiße findet, verstehst du, dann ist das eine glasklare Bestätigung dessen, was du denkst.«
    »Du lieber Himmel.«
    »Elend ist was Verlässliches, glaub mir.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Doch, sich scheiße fühlen gibt Halt. Wie sagen die Leute, wenn sie in die Kirche gehen? Gott, ich bin sündig, nichtswürdig, ich hab Mist gebaut, schon bevor ich geboren wurde, ich bin ein elender Dreck, vergib mir, und wenn nicht, auch gut, wirst du schon recht haben, ich bin eine Milbe, eine Erbmilbe –«
    »Erbmilbe?«
    »Ja, Erbdings!« Sie gestikulierte wild, wie berauscht. »Da gibt's doch so was im Christentum, dass man von vorneherein und immer der Arsch ist. Genauso fühlst du dich. Du denkst, Leiden ist eine Heimat. Stimmt nicht. Leiden ist ein Scheiß.«
    »Leidest du nie?«
    »Natürlich, wie Hund! Weißt du doch. Ich war Alkoholikerin, wurde als schlechteste Schauspielerin ausgezeichnet, war im Knast, vor Gericht. Wow!« Sie lachte, verliebt ins Desaster ihrer Biografie. »Das war ziemlich daneben.«
    »Aber warum macht dir das alles nichts aus?«
    »Macht es schon! Pech macht mir jede Menge was aus.«
    »Aber du findest dich eben nicht von vorneherein – ähm –«
    »Nein.« Winter schüttelte den Kopf. »Nur kurz mal, als ich gesoffen habe. Sonst wüsste ich ja gar nicht, wovon ich hier rede. Aber nicht grundsätzlich.«
    Zum ersten Mal an diesem Abend lächelte Olympiada, vorsichtig, als bezweifle sie, dass ihre Mimik dafür geschaffen sei.
    »Verrätst du mir ein Geheimnis, Miranda?«
    »Jedes, Schatz.«
    »Wie wird man wie du?«
    »Keine Ahnung.« Winter überlegte, dachte ernsthaft darüber nach. »Ich schätze, man braucht einen gewissen Mangel an – Fantasie.«
    »Mangel an Fantasie?«
    »Ja.« Sie lachte wiehernd. »Stell dir vor, ich hab keine Fantasie. Kein Fitzchen. Ich kann mich nicht durch die Brille anderer sehen. Ich meine, mir fällt auf, dass sie mich cool finden, mich mit Blicken ausziehen, klar. Aber ansonsten seh ich mich ausschließlich durch meine eigenen Augen, und wenn mir was nicht gefällt, korrigier ich's. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie andere mich haben wollen, also versuch ich auch nicht, so zu sein.« Sie machte eine Pause und bedeutete Funaki den Leerstand ihres Glases. »Und jetzt hör auf, dich durch Olegs Augen zu sehen, ja? Du bist nett, supernett! Oh mein Gott, du bist Abgeordnete im russischen – wo noch mal?«
    »Parlament.«
    »Und reich und alles! Und was das Äußere angeht, also gut, ich will ehrlich zu dir sein, aber gib mir vier Wochen, und ich mach den Partyknaller aus dir! Du hast das alles nicht nötig, Olympiada. Schon gar nicht, Oleg zu vermissen.«
    »Hm.«
    »Weißt du was?« Sie umfasste Olympiadas Oberarm und senkte die Stimme. »Ich verrate dir jetzt mal ein wirkliches Geheimnis: Männer geben Frauen nur darum das Gefühl, scheiße zu sein, weil sie sich selber so fühlen. Kapiert? Sie versuchen unser Selbstbewusstsein zu knacken, es uns zu klauen, weil sie kein eigenes haben. Mach das nicht mit! Lass sie das nicht mit dir machen! Du musst deine Flagge hissen, Süße. Du bist nicht, was er will, das du sein sollst.« Komplizierte Satzstellung, hatte aber geklappt. Sie wurde immer besser.
    »Vielleicht kommt er ja nie zurück«, murmelte Olympiada, der sich ein Weg in lichtere Gefilde des Seins aufzutun schien.
    »Genau! Scheiß auf ihn.«
    Olympiada seufzte. »Okay.«
    »Michio, Herzblatt«, krähte Winter und schwenkte ihr leeres Glas. »Für meine Freundin auch so einen!«
     
    Sophie Thiel stocherte in Verrat und Täuschung, als Tim die Zentrale betrat. Ein Dutzend Fenster auf der großen Multimediawand reanimierten die Vergangenheit.
    »Durchweg gefälscht«, sagte Thiel mutlos.
    Er schaute zu, wie Menschen die Lobby durchquerten, die Zentrale betraten, ihrer Arbeit nachgingen, sie verließen. Dann wieder lagen die Räume dämmrig und desperat da, einzig beleuchtet vom harten Widerschein des Sonnenlichts auf der Schluchtkante und den Kontrollen der nimmermüden Maschinerie, die das Hotel am Leben erhielt. Thiel wies auf einen der Ausschnitte. Der Blickwinkel der Kamera war so eingestellt, dass man durch das Panoramafenster die

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