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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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    Was Xin dann noch sagte, prägte sich ihr eher als Textur von Gesagtem ein, als bloßer Stimmabdruck, da ihr Nervus Vagus, der so krisenerprobte und am Ende so überforderte Manager, sein regulierendes Werk einstellte und die ihm anbefohlenen Organe ins Chaos stürzte, indem er sie sich selbst überließ. Ohne höhere Befehlsgewalt öffneten die Gefäße Flüchtlingsströmen von Blut Tür und Tor in die Beine, fand das Herz die Truppen desertiert und nichts mehr zu pumpen, wartete das Hirn vergeblich auf Nachschubbataillone mit Sauerstoff, sodass Xins Zusatz: »Ihr werdet verlieren« in den Rang eines elektrochemischen Gerüchts entrückte, er mochte es gesagt haben oder auch nicht. Es war der Moment des großen Stromausfalls. Des Augenverdrehens und Umfallens. Des vorauseilenden Erschossenwerdens. Des universalen Neins.
    So hatte Jericho sie gefunden. Als Teil eines Ensembles über das Deck drapierter Körper: zwei tote Wachleute, ein toter Verräter, eine wie tot daliegende Yoyo, puls- und atemlos, über und über bedeckt mit kaltem Schweiß, nachdem sie den Anruf auf Shaws Leitung schuldig geblieben war. Und als er es seinerseits bei ihr versucht hatte, war sie nicht rangegangen. Ein Blick in Norringtons Büro kündete von dessen Abwesenheit. All dies reichte, um voller Besorgnis in den 68. Stock zu fahren, wo Diane mit herausgerissenen Kabeln einen erbarmungswürdigen Anblick bot und augenscheinlich ein Kampf stattgefunden hatte. Weit und breit keine Yoyo, dafür Blutflecken auf dem Boden, auf der Empore, der Brücke und der Treppe nach oben.
    Der Rest: Intuition.
    Er war aufs Dach hinausgestürmt, eben rechtzeitig, um das Airbike am Himmel entschwinden zu sehen, und einen entsetzlichen Moment lang hatte er Yoyo tot geglaubt. War neben ihr zusammengeklappt, ein Kniefall vor der Allgewalt des Scheiterns, das Leiden vor Augen, das er Tu und Hongbing mit der Nachricht zufügen würde, doch dem kaum messbaren Beben ihres Herzens, das sein Ohr an ihrem Brustkorb vernahm, war ein weiteres gefolgt, ein zerdehnter Rhythmus, der sich beschleunigte und an Kraft gewann, und das Blut hatte seinen Weg zurück in die Schaltstellen des Bewusstseins angetreten. Die Beine hochgelegt, war sie zu sich gekommen, verwirrt, apathisch, gerade noch in der Lage, ein Notprogramm hochzufahren, wer bin ich, Kopfweh, müde, schlafen.
    Xin hatte sie leben lassen.
    Warum?
    Derweil steuerte Shaw auf einen Tobsuchtsanfall zu. Zu beweisen blieb Norringtons Schuld, auch wenn sie nicht länger daran zweifelte. Einem Ansturm von Mutmaßungen ausgesetzt, was der Stellvertretende Sicherheitsbeauftragte alles zum Schaden Orleys angerichtet haben mochte, ordnete sie die Durchsuchung seiner Daten an, ließ ihn filzen, und man stieß auf einen Stick, getarnt als Haustürschlüssel, auf dem ein einziges Programm gespeichert war, visualisiert in der Darstellung eines Schlangenleibes mit neun Köpfen, ein schimmerndes, pulsierendes Indiz seines Verrats.
    An diesem Punkt beschloss Jericho auszusteigen.
    Sollten sie ihre Probleme alleine lösen. Mehr konnte, mehr wollte er nicht tun, beinahe, als habe eine stille Übereinkunft zwischen ihm und Xin stattgefunden, nachdem dieser Yoyo verschont und eine ebenso knappe wie unmissverständliche Nachricht hinterlassen hatte: Kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten. Vielleicht hatte Xin auch einfach nur erkannt, dass Yoyos Tod nicht mehr vonnöten war, da zu viele Menschen ihr geheimes Wissen teilten. Sie noch umzubringen, wäre sinnlos gewesen, und Akte der Sinnlosigkeit vereinbarten sich möglicherweise nicht mit Xins – Philosophie?
    Wie auch immer.
    Er, der Detektiv, hatte sein Versprechen gehalten und seinen beiden Klienten, Tu und Chen, Yoyo zurückgebracht. Alles Weitere war Sache Shaws und der britischen Geheimdienste, nicht seine, außerdem war er entsetzlich müde. Zugleich wusste er, dass er kein Auge würde zutun können, auch wenn er noch so ausgiebig gähnte. Tu hingegen, der ohnehin kaum schlief, schien der Schock in immerwährende Wachheit versetzt zu haben, genährt von Schuldgefühlen, Yoyo nicht beigestanden zu haben. Seit zwei Stunden schlummerte sie friedlich in seinem Bett – alle Gästesuiten im Big O verfügten über mehrere Zimmer und boten spektakuläre Ausblicke –, während er zusammen mit Jericho im Wohnzimmer Tee trank und einen manischen Vernichtungswillen an den Tag legte, was die Vorräte an Nüssen und Süßigkeiten anging.
    »Ich muss einfach essen«, sagte er halb

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