Limit
tief in seinem Innern. Alles andere würde ihren sicheren Tod bedeuten. Ihre Finger sprangen virtuos über den Touchscreen, berechneten den Neigungswinkel, dessen es bedurfte, um die Kallisto kontrolliert abstürzen zu lassen, und die Nase des Shuttles senkte sich – halt, zu viel, weniger! – so, ja, so war es gut. Stetiger Abwärtsflug.
Jetzt nichts wie raus. Helm auf.
Ihre Hände zitterten. Warum zitterten jetzt ihre Hände?
05:59
Der Helm wollte nicht passen.
05:58
Sie war zu fahrig.
05:57
05:56
Jetzt!
Frachtraum. Handbedienung.
Enervierend träge senkte sich die Heckklappe und gab den Blick frei auf die Sterne und das ferne Massiv von Peary und Hermite. Hedegaard erklomm die Plattform des Hoppers und ließ die Maschine ein kleines Stück steigen. Die Klappe schwang weiter auf. Ohne zu warten, bis sie sich vollständig geöffnet hatte – Hauptsache, es würde mit knapper Not reichen –, navigierte sie den Hopper durch den Frachtraum und aus dem Heck des abstürzenden Shuttles nach draußen.
Illusorisch zu glauben, dass sie in Sicherheit war. Relativ zu ihr schien der Shuttle stillzustehen, was bedeutete, dass auch sie auf ihrem lächerlich winzigen Gefährt immer noch mit 12.000 Stundenkilometern in Richtung Sylvester raste, ebenso schnell wie die Kallisto. Realistisch betrachtet standen ihre Chancen denkbar schlecht, doch fünf Minuten blieben ihr immerhin, das Unmögliche zu vollbringen, vielleicht auch nur vier. Irgendetwas jedenfalls zwischen 250 und 300 Sekunden. Alle ihre Hoffnungen darauf gerichtet, den Aufprallwinkel des Shuttles richtig eingeschätzt zu haben, kippte sie die Düsen in die Horizontale und entfesselte das Maximum an Gegenschub, das die kleine Maschine aufzubringen in der Lage war.
Der Hopper schüttelte sich, versuchte sie abzuwerfen.
Dann strebte er mit allem, was seine Triebwerke hergaben, fort von der entfliehenden Kallisto, arbeitete der mörderischen Beschleunigung tapfer entgegen, während er gleichzeitig an Höhe verlor. Vor Hedegaards Augen wurde der Shuttle rasch kleiner. Sie kippte die Düsen noch ein Stück weiter und näherte sich dem Grund, kam dem Mondboden nahe, zu nahe, wie sie im selben Moment feststellte, weil sie immer noch viel zu schnell war. In Gefahr, zu zerschellen, zog sie den Hopper wieder nach oben, quetschte das letzte verfügbare Quantum Schub aus seinen Düsen und sah die Kallisto den sonnenbeschienenen Hängen Sylvesters zustreben. Der staubige Grund raste nun nicht mehr ganz so schnell unter ihr hindurch, der Hopper kämpfte erfolgreich gegen seinen eigenen Schwung. Er wurde langsamer, doch würde die Zeit reichen, ihn auf Landegeschwindigkeit abzubremsen?
Und was dann? Wie viele Minuten blieben ihr?
Zwei?
Eine?
Ein kleiner Krater nahte heran, zog unter ihr hindurch und geriet außer Sicht. Ein idealer Ort, um sich zu schützen. Sie musste es irgendwie schaffen, zurück zu diesem Krater zu gelangen, doch immer noch war ihr Tempo beträchtlich. Am Horizont stand die Kallisto als reflektierendes Pünktchen über dem Ringgebirge, so dicht, dass sie einen schrecklichen Moment lang befürchtete, sich verrechnet zu haben, und der Shuttle werde am Kraterrand zerschellen, die Bombe auf seinem Gipfel hochgehen, nichts sie vor der Wucht der Detonation schützen.
Dann verschwand das Pünktchen in Sylvesters Innerem, und sie stieß einen Triumphschrei aus, weil dieser Punkt im Spiel um ihr Leben an sie ging. Immer noch schreiend lenkte sie den Hopper nach unten, stemmte sich gegen die eigene Geschwindigkeit, und ganz allmählich schien das Gefährt den vom Shuttle ererbten Schwung zu überwinden, auch wenn sie für eine Landung noch zu schnell war. Den kleinen Krater von vorhin konnte sie vergessen, schon zu weit weg, doch ein ähnlich dimensionierter schob sich heran, noch etwas kleiner, ein Kraterchen. Sein Ringwall mochte zwei, drei Kilometer durchmessen, war indes erstaunlich hoch, sodass sie es plötzlich mit der Angst bekam, der Hopper werde es nicht über den Grat schaffen und damit kollidieren. Kurz vor dem Aufprall zog sie die Maschine nach oben, schaffte es mit knapper Not über den Wall, schaute nach unten. Bedrohlich warf der Kraterrand seinen schwarzen, hart abgezirkelten Schatten in die Mulde. Weiterhin wurde sie langsamer, überflog den gegenüberliegenden Rand, hatte wieder die Ebene und Sylvester vor Augen, inzwischen beängstigend nah mit seinen klaren, von keinem Dunst eingetrübten Gipfeln.
Etwas geschah dort.
Hedegaard kniff
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